Informationen für Lehrer/Innen
Thematische Einführung
Durch die öffentliche Debatte über die Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) ist das Thema „Rechtsextremismus“ wieder in aller Munde. Kontinuierlich hohe Fallzahlen extrem rechter Gewalt und die Verbreitung von menschenverachtenden Vorurteilen sorgen für seine andauernde Brisanz. Rechtsextreme Einstellungsmuster, etwa Vorurteile gegen Muslime, Roma oder Juden, sind auch bei Menschen populär, die nicht über ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild verfügen. Auch Medien und Politik können diffamierende Bilder über bestimmte Gruppen unserer Gesellschaft transportieren. Feindselige Stereotype erschweren das tägliche Miteinander. Die Folge davon können Mobbing, Ausgrenzung, aber auch aggressives Verhalten sein. Somit bilden Rechtsextremismus, menschenverachtende Einstellungen und Gewalt eine langfristige Herausforderung für den demokratischen Staat und unsere Gesellschaft der Vielfalt.
Zu einem wichtigen Bestandteil des politischen und sozialen Lernens wird das Thema „Rechtsextremismus“ über seine sozio-politische Aktualität hinaus aufgrund seiner auch historischen Bedeutung. Der Blick in die Deutsche Geschichte des Nationalsozialismus ist ein Anliegen historischer Bildung, das durch Abstraktion und Perspektivierung für die Gegenwart fruchtbar gemacht werden kann. Die Beschäftigung mit der Deutschen Geschichte des Nationalsozialismus kann zeigen, wie Demokratie und Vielfalt in Deutschland zerstört wurden. Besonders ertragreich ist dabei die genaue Betrachtung des Jahres 1933: In nur wenigen Monaten gelang es den Nationalsozialisten ihre menschenverachtenden Ideologien Schritt für Schritt in staatliche Praxis umzusetzen. Die NS-Diktatur wurde etabliert.
Positiv gewendet, eignet sich die Analyse des Jahres 1933 und die Thematisierung des aktuellen Rechtsextremismus’ hervorragend, um die Grundsteine und den Wert von Demokratie und Menschenrechten zu verdeutlichen. Es geht in den Unterrichtseinheiten aber auch um den Gewinn an Perspektiven, Empathiefähigkeit und letztlich um das eigene Ringen, um vorurteilsneutrale und faire Formen des Miteinanders.
Das Unterrichtsangebot klärt aus unterschiedlichen Perspektiven und mit vielseitigen Zugängen und Materialien über Rechtsextremismus und die Abschaffung von Demokratie und Vielfalt im Nationalsozialismus auf. Die Unterrichtseinheiten begnügen sich dabei nicht mit einer Vermittlung von Fakten, sondern setzen in Inhalt wie Methodik auf Demokratie und Vielfalt und eröffnen sowohl wissensorientierte als auch emotionale und aktivierende Zugänge.
Methodisch-didaktische Hinweise
Hohe Schüleraktivität in verschiedenen methodischen Arrangements kennzeichnet das Unterrichtsangebot. Dabei werden methodische wie kommunikative Kompetenzen gefördert. Diese stehen im Dienst einer möglichst intensiven inhaltlichen Auseinandersetzung. Gleichwohl geht es um die Stärkung der Diskussions- und Urteilsfähigkeit sowie der Medienkompetenz. Auf der Grundlage von historischen und aktuellen Quellen und durch fachwissenschaftliche Kommentierungen werden historische, politische und ethische Fragen beleuchtet.
Das Unterrichtsangebot (Unterrichtseinheit 1-3) ist nach dem Baukastenprinzip konzipiert. Es kann je nach Interesse der Schüler und zur Verfügung stehender Zeit eigenständig und weitgehend unabhängig voneinander genutzt werden. Eine Integration in den Geschichts-, aber auch Politik-, Ethik- und Religionsunterricht, der 10. Klasse ebenso wie in die Seminar- oder Leistungskursarbeit der Oberstufe ist möglich.
Allerdings sollte die Unterrichtseinheit 3 nicht isoliert genutzt werden. Vorkenntnisse sind nötig, idealer Weise in Form der Erarbeitung der Unterrichtseinheiten 1 und 2, oder zumindest der Unterrichtseinheit 2. Nur so ist garantiert, das die SchülerInnen die hier betrachteten Agitationen und Strategien der Rechtsextremen einordnen können.
Die Erarbeitungsphasen in den jeweiligen Unterrichtseinheiten finden in der Regel in Form von Gruppenarbeit statt. Diese werden durch Einzel- und Partnerarbeitsphasen oder Kleingruppenarbeit vorbereitet und im Klassenverband (oder alternativ möglich als Museumsrundgang) präsentiert, zusammengeführt und ausgewertet. Die für die einzelnen Arbeitsphasen benötigte Zeit, kann je nach Erfahrung der SchülerInnen mit den handlungsorientierten Methoden variieren.
Das Unterrichtsangebot eignet sich für die Projektarbeit (1-2 Projekttage). Mit wenig Aufwand können die Stundenergebnisse direkt oder mit leichter Modifizierung für eine kleine Schulausstellung zum Thema „Abschaffung von Demokratie und Vielfalt – (Nationalsozialismus und) Rechtsextremismus“ genutzt werden.
Unterrichtseinheit 4 ist als Ergänzungsangebot zum Thema „Umgang mit Neonazi-Aufmärschen und Propaganda“ gedacht und Unterrichtseinheit 5 gibt Anregungen für Projekt- und Seminararbeit außerhalb des üblichen klassengebundenen Unterrichts. Das Hannah-Arendt-Gymnasium Barsinghausen bietet diese Unterrichtseinheit als „Seminarfach: ‚Zerstörte Vielfalt – Deutschland vor 80 Jahren’“ in der Oberstufe an.
Lernziele
Die Unterrichtseinheiten
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ermöglichen eine fundierte Auseinandersetzung mit den Grundsteinen einer demokratischen Gesellschaft (Presse- und Meinungsfreiheit, Pluralismus) und den Gefahren ihrer Einschränkung und Zerstörung.
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vermitteln zentrale Kenntnisse zum Themenkomplex „Rechtsextremismus“.
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zeigen verschiedene Ausdrucksformen extrem rechter Ideologie auf.
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basieren auf umfangreichen Quellen, u.a. Zeitungsartikeln, Karikaturen, Flugblättern, Fotos, Filmen, und wissenschaftlicher Literatur. – Die SchülerInnen üben sich im Auswerten unterschiedlicher Texte und Medien.
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machen perspektivenreich Muster und Mechanismen der Zerstörung der Demokratie auf dem Weg in die nationalsozialistische Diktatur sichtbar; ebenso des heutigen Rechtsextremismus – so üben SchülerInnen den Perspektivenwechsel.
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lassen die SchülerInnen ihre Kommunikations-, Diskussions- , Argumentations- und Präsentationsfähigkeit üben.
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machen SchülerInnen (Demokratie-) kompetent: Die erworbenen Inhalte und Kompetenzen im Umgang mit Rechtsextremismus und Vorurteilen können innerhalb und außerhalb des Unterrichts angewandt werden.
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stärken die SchülerInnen in ihrer Urteils- und Medienkompetenz.
Tipp
Die Unterrichtseinheiten können als Seminarangebot oder Schulprojekt durchgeführt werden. Am Ende kann durch leichte Modifizierung eine Schulausstellung stehen. Die Materialien können durch aktuelle Texte (Flugblätter, Zeitschriften) der extremen Rechten ergänzt werden, die beispielsweise verschiedenen Bestandteilen rechtsextremer Ideologien zugeordnet werden.
Im Detail umfasst das Unterrichtsangebot
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Unterrichtsmodul 1 (2-4 Unterrichtsstunden):
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Nationalsozialismus: Zerstörung der Vielfalt, Abschaffung der Demokratie. Das Jahr 1933Thematische Einführung: Am 30. Januar 1933 hatte Reichspräsident Paul von Hindenburg den Vorsitzenden der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (NSDAP), Adolf Hitler, zum neuen Reichskanzler ernannt. Die Nationalsozialisten schafften in nur wenigen Monaten die Demokratie ab: Sie schalteten politische Gegner mit Gewalt aus und nutzten die staatlichen Machtinstrumente, um ihre menschenverachtenden Ideologien und ihren absoluten Führungsanspruch durchzusetzen. Einige wichtige Etappen hin zur nationalsozialistischen Diktatur sind: Der „Schießerlass“ vom 17. Februar (legitimierte den Gebrauch der Schusswaffe gegen alle politischen Gegner), das In-„Schutzhaft“-Nehmen von Regierungsgegner, der Erlass der Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar (verfassungsmäßige Grundrechte wurden außer Kraft gesetzt), die Wahl vom 5. März (nicht mehr demokratisch abgehalten), das Ermächtigungsgesetz (nun konnte die Regierung Gesetze ohne Zustimmung von Reichstag und Reichsrat verabschieden), die Zerschlagung der Gewerkschaften, die Bücherverbrennung, der Erlass des „Arierparagraphen“ und schließlich ab August 1934 die Vereidigung der Reichswehr auf die Person Hitlers. Damit waren spätestens im Sommer 1934 Demokratie und Pluralismus und mit ihnen zahlreiche Biographien in Deutschland zerstört.
Weiterführend: Die Etablierung der NS-Herrschaft (Jan. 1933 bis August 1934), Deutsches Historisches Museum, Berlin
Methodisch-didaktische Hinweise: Die Unterrichtseinheit hat zum Ziel, Etappen und Elemente der Abschaffung der Vielfalt und Demokratie im Jahr 1933 durch die Nationalsozialisten aufzuzeigen. Dafür werden Etappen und Elemente der Nationalsozialisten hin zur Etablierung der nationalsozialistischen Diktatur ebenso wie persönliche Lebensgeschichten betrachtet. Es wird ein besonderer Schwerpunkt auf die „Presse“ (Presse- und Meinungsfreiheit, Gleichschaltung der Presse) gelegt.
Die SchülerInnen erarbeiten zunächst in Kleingruppenarbeit zentrale Elemente der NS-Ausgrenzungs- und Zerstörungspolitik. Der Blick ist perspektivenreich: So werden
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historische Dokumente (Reichstagsbrandverordnung, Schriftleitergesetz und Aufruf von prominenten Persönlichkeiten für Presse- und Meinungsfreiheit mit der Veranstaltung „Das freie Wort“, ein NSDAP-Wahlplakat),
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historische Reden (Rede des NS-Propagandaminister Goebbels zum Schriftleitergesetz, „Bekenntnis zur sozialen Republik“ von Thomase Mann),
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fachwissenschaftliche Texte (u.a. über die Gleichschaltung der Presse)
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und persönliche Lebensgeschichten (Ausbürgerung und Berufsverbote von Albert Einstein, Theodor Wolff, Clara Schuch und Carl von Ossietzky) betrachtet.
Die Unterrichtseinheit vermittelt fachliche und soziale Kenntnisse und sensibilisiert für eine Wertschätzung der Errungenschaften der Demokratie. Sie soll zu einer kritischen Reflektion aktueller Tendenzen der Ausgrenzung und der Einschränkung demokratischer Rechte anregen.
Praktische Hinweise: Sorgen Sie dafür, dass in jeder Kleingruppe eine internetfähiges Gerät vorhanden ist (Computer, Laptop, Tablet, Smartphone) und ermöglichen Sie den SchülerInnen den Zugang zum Wlan-Netzwerk der Schule.
Schritte:
1. Zunächst teilen Sie die SchülerInnen in fünf Kleingruppen (etwa durch Durchzählen 1-5) ein.
2. Die Kleingruppen beschäftigen sich jeweils mit einem Thema und den dazugehörigen Aufgabenstellungen. Sie arbeiten sich in ihr Thema sowohl anhand von Arbeitsblättern als auch ggf. durch (z.T. vorgegebene) Internetrecherche ein, besprechen zentrale Ergebnisse und halten diese in Form von Stichpunkten (für einen Kurzvortrag) und eines Plakates fest.
* Jeder Schüler soll sich darauf vorbereiten, die Ergebnisse komplett vorstellen zu können. Damit wird sichergestellt, dass sich alle Schülerinnen mit den zentralen Inhalten ernsthaft beschäftigen. Per Zufall wird ein Vortragender bestimmt. Es können z.B. Karten gezogen werden oder die Lehrerin kann etwa danach fragen, wer als nächstes Geburtstag hat, oder denjenigen ermitteln, der im Haus mit der höchsten Hausnummer wohnt.
3. Abschließend stellen die Gruppen ihre Ergebnisse im Klassenverbund vor. Das erarbeitete Plakat wird dazu an die Tafel bzw. einer Stellwand befestigt.
Alternativ können die Ergebnisse in einem „Museumsrundgang“ vermittelt werden.
Ergänzende Tipps:
Thema 4: Für eine erweiterte Recherche, können weitere interessante Persönlichkeiten für recherchiert werden, z.B.: Georg Bernhard, Friedrich Stampfer, Helmut von Gerlach, Sebastian Haffner, Carl von Ossietzky.
Mehr als 200 ausgewählte Lebensgeschichten zum Thema „Zerstörte Vielfalt im Nationalsozialismus“ finden sie einer im Jahr 2013 von Kulturprojekte Berlin erstellten Portraitseite des Berliner Senats.
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Unterrichtsmodul 2 (2 Unterrichtsstunden):
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Nationalsozialismus und Rechtsextremismus: Ideologien der MenschenfeindlichkeitThematische Einführung: Rechtsextremismus, wie eine seiner historischen Spielarten, der Nationalsozialismus, ist keine einheitliche, in sich geschlossene Ideologie. Es handelt sich um eine Vielzahl von Ideologieelementen der Ungleichheit und Ungleichwertigkeit. Zentral ist ein übersteigerter ethnischer oder völkischer Nationalismus, der völkische Bezugspunkte zum wichtigsten Maßstab erhebt. Demgegenüber steht die aggressive Abgrenzung von den als minderwertig betrachteten „Anderen“, auch als „Volksfremde“ diffamiert. Ideologische Bestandteile wie Rassismus und Antisemitismus sind zentral für rechtsextreme Überzeugungen. Das Abgrenzungsbedürfnis kann sich zu Vorstellungen ständiger Bedrohung verhärten, wobei eigene aggressive Tätigkeiten als Notwehr interpretiert werden. Die vermeintliche „Wir“-Gruppe wird als ständiges Opfer äußerer Angriffe begriffen. Auf der politischen Ebene manifestieren sich die Ungleichwertigkeitsvorstellungen in Demokratiefeindlichkeit und der Befürwortung eher diktatorischer Regierungsformen. In Deutschland spielt die Verharmlosung oder Verherrlichung des Nationalsozialismus eine zentrale Rolle.
Methodisch-didaktische Hinweise: Die Unterrichtseinheit hat zum Ziel, verschiedene ideologische Bestandteile einer rechtsextremen Ideologie kennen zu lernen und das Grundprinzip rechtsextremer Einstellungen zu erfassen.
1. Unterrichtsstunde: Die Schüler erarbeiten in der ersten Unterrichtstunde Kernpunkte rechtsextremer Ideologien und stellen sich deren wesentliche Inhalte gegenseitig vor. Im unmittelbaren Vergleich und durch die Synthese der Inhalte zweier Texte erfassen die Schülerinnen die zentralen Ideologieelemente. Anschließend Entwerfen sie ein Schaubild und trainieren somit auch ihre Darstellungskompetenz und üben sich im Präsentieren.
2. Unterrichtsstunde: In der zweiten Unterrichtsstunde beschäftigen sich die Schülerinnen mit Quellen. Anhand der Analyse konkreter Beispiele rechtsextremer Äußerungen (Auszüge aus dem 25-Punkte-Programm der NSDAP, einer Schulungsbroschüre für NPD-Kader und rechtsextremen Liedtexten), wenden die Schüler erworbenes Wissen an. Sie ordnen gefundene Zitate den zuvor erarbeiteten (1. Unterrichtsstunde) Bestandteilen rechtsextremer Ideologien zu. Abschließend werden die Ergebnisse aus den drei unterschiedlichen Quellen im Klassenverband zusammengeführt (OH-Projektor, Smartboard oder Tafel) und vergleichend diskutiert.
Praktische Hinweise
In der ersten Unterrichtsstunde ist, wenn die Kugellagermethode zum Einsatz kommt, genügend Raum im Klassenzimmer vonnöten, damit die Schüler sich im Doppelkreis aufstellen können. Ggf. müssen Tische und Stühle zur Seite gerückt werden.
Schritte: Erste Unterrichtsstunde
1. Sie teilen die Schülerinnen in zwei Gruppen (A und B) ein. In Einzelarbeit werden die zentralen Inhalte des jeweils vorliegenden Textes erarbeitet. Diese werden auf einem kleinen Zettel („Spickzettel“) notiert.
2. Jeweils zwei Schüler (einer aus Gruppe A, einer aus Gruppe B) stellen sich die Ergebnisse („Bestandteile rechtsextremer Ideologien) vor.
Hierbei kommt die Kugellagermethode (auch bekannt als „Karussellgespräch“) zum Einsatz.
3. Anschließend entwerfen die Schülerinnen ein Schaubild, in dem die Ergebnisse übersichtlich festgehalten werden. Die Lehrerin hält Stichworte, wie sie im später eingesetzten Arbeitsblatt (vgl. 2. Unterrichtsstunde) aufgelistet sind, an der Tafel fest oder teilt direkt das Arbeitsblatt aus.
Schritte: Zweite Unterrichtsstunde
1. Teilen Sie die Arbeitsblätter, inklusive Tabelle aus. Es gibt drei Gruppen für die unterschiedlichen Quellentexte, das Arbeitsblatt „Tabelle“ bekommt jeder ausgeteilt. Zunächst arbeiten die Schülerinnen in Einzel- oder Partnerarbeit.
2. Die Schüler setzen sich in ihren Kleingruppen zusammen und gleichen die Ergebnisse (gefundene Zitate) ab.
3. Die Gruppenergebnisse werden im Klassenverband vorgestellt und zusammengeführt.
* Jeder Schüler soll sich darauf vorbereiten, die Ergebnisse komplett vorstellen zu können. Damit wird sichergestellt, dass sich alle Schülerinnen mit den zentralen Inhalten ernsthaft beschäftigen. Per Zufall wird ein Vortragender bestimmt. Es können z.B. Karten gezogen werden oder die Lehrerin kann etwa danach fragen, wer als nächstes Geburtstag hat, oder denjenigen ermitteln, der im Haus mit der höchsten Hausnummer wohnt.
Im Klassenverbund werden die Aussagen der verschiedenen Gruppen verglichen und Gründe für die unterschiedlichen Formulierungen diskutiert.
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Unterrichtsmodul 3 (2 Unterrichtsstunden):
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Rechtsextremismus: Abschaffung der Vielfalt heuteThematische Einführung: Rechtsextreme Agitation und Argumentation ist für den Laien zum Teil schwer entschlüsselbar. Grund ist zum einen, dass aufgrund der Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen, bestimmte Positionen von den Rechtsextremen öffentlich nicht direkt ausgesprochen werden. Zum anderen versuchen Rechtsextreme, werbend breitere Bevölkerungsschichten anzusprechen. Daher setzen sie darauf, Positionen zu verschleiern. So verstehen „Insider“ etwa, wenn von der „Ostküste der USA“ gesprochen wird, dass es sich hier um eine antisemitische Anspielung handelt. Uneingeweihte überhören diese Anspielung jedoch oder verstehen sie als Antiamerikanismus (was sie ebenfalls ist), weil sie den Sprachduktus der extremen Rechten nicht kennen.
Tatsächlich stellen Rechtsextreme selbst Verstöße gegen die Menschenrechte, wie diskriminierende Äußerungen und Taten, als Recht auf „Meinung“ oder legitime „Gesinnung“ dar. Die Forderung nach dem „Recht zu diskriminieren“ wird als tapferer Tabubruch oder als Notwehrhandlung initiiert. Erst die Analyse rechtsradikaler Argumentation macht die tatsächlichen Anliegen der Rechtsextremen sichtbar: Es geht um die Durchsetzung der eigenen völkischen Ideologie, die Ausschaltung anderer Meinungen und die Negierung individueller und demokratischer Rechte. Ob Meinung, Mensch, Medien oder demokratisches System – alles, was nicht rechtsextrem ist, wird als feindlich und illegitim diskreditiert.
Methodisch-didaktische Hinweise: Es zeigt sich im Klassenzimmer: Von Schülern werden die rechtsextremen Inhalte der Argumentation, etwa der NPD, häufig nicht erkannt. Ein kompetent-kritischer Umgang mit der extremen Rechten erfordert Vor-Kenntnisse. Die Unterrichtseinheit hat zum Ziel, Schüler im Erkennen extrem rechter Inhalte und Agitationsstrategien zu schulen. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf das Thema „Medien“ (Presse- und Meinungsfreiheit) gesetzt. Über ein abrufbares Fachwissen im Unterricht hinaus, lernen Schüler den kritischen Umgang mit politisch-ideologischen (Text-/Medien-)Inhalten.
1. Unterrichtsstunde: In der ersten Unterrichtsstunde vergleichen die Schülerinnen zwei NPD-Texte und beziehen sie auf das in der Unterrichtseinheit 2 erarbeitete Ideologie-Raster.
Sie ordnen die Zitate aus den Texten (Auszüge aus dem NPD-Parteiprogramm und aus einer NPD-Schulungsbroschüre für Kader) den bereits zuvor erarbeiteten Bestandteilen rechtsextremer Ideologien zu. Abschließend werden die Ergebnisse im Klassenverbund verglichen, Gründe für die unterschiedlichen Formulierungen herausgearbeitet sowie die Wirkung der Äußerungen auf die Rezipienten diskutiert.
2. Unterrichtsstunde:An einem konkreten Fallbeispiel wird der Ruf der (Neo-)Nazis nach „Meinungsfreiheit“ als widersinnig und Teil extrem rechter Diskursstrategie entlarvt. Die Schüler lernen den Fall (rassistischer und neonazistischer Übergriff in einer Kleinstadt) kennen, analysieren die Argumentation der NPD zum Fallbeispiel (Rede NPD-Vorsitzender im Sächsischen Landtag) und setzen tatsächliches Geschehen, NPD-Argumentation und NPD-Parteiprogramm in Beziehung. Dabei erkennen die Schüler die Grundüberzeugungen der extremen Rechten in der Argumentation. Abschließend halten die Schüler ihre Erkenntnisse über die Ansinnen und Strategien der Rechtsextremen in eigenen Worten (einem Essay) fest.
Praktische Hinweise
Der Einsatz der Unterrichtseinheit 3 erfordert Vorkenntnisse zu rechtsextremen Ideologien. Daher empfiehlt sich ein eigenständiger Einsatz nur, wenn die Schülerinnen oder Studierenden bereits Kenntnisse über den Rechtsextremismus haben. Die Unterrichtseinheit lässt sich jedoch ideal im Anschluss an die Unterrichtseinheit 2 einsetzen.
Schritte: Erste Unterrichtseinheit
1. Verteilen Sie die Arbeitsblätter, inklusive der Tabelle an alle Schülerinnen. Die Schüler arbeiten in Einzel- oder Partnerarbeit.
2. Abschließend werden die Ergebnisse im Klassenverbund vorgestellt und diskutiert. Es werden Gründe für die unterschiedlichen Formulierungen der NPD je nach Zielgruppe genannt. Schließlich sollen die Schüler beurteilen, welche Form der Darstellung der rechtsextremen Ideologie, sie für gefährlicher halten.
Schritte: Zweite Unterrichtseinheit
1. Verteilen Sie die Arbeitsblätter. Die Schüler arbeiten in Einzel- oder Partnerarbeit. Sie analysieren die Texte und tragen die Ergebnisse stichpunktartig in einer Tabelle zusammen.
2. Abschließend verfassen die Schülerinnen einen Essay, in dem Sie die Ergebnisse der Unterrichtseinheiten (1-3 oder 2-3) in eigenen Worten darstellen.
Der Essay kann als Hausaufgabe (zu Ende) geschrieben werden.
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Unterrichtsmodul 4 (2 Stunden):
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Rechtsextreme Propaganda heute: Versuch einer Relativierung nationalsozialistischer VerbrechenI. Einführung: Die „Trauermärsche“ in Bad Nenndorf
Seit 2005 ruft das rechtsradikale „Gedenkbündnis Bad Nenndorf“ jährlich zu sogenannten „Trauermärschen“ in dem niedersächsischen Kurort auf. Ziel ist das in der Ortsmitte gelegene „Wincklerbad“, ein in den 1930er-Jahren errichtetes Badehaus, in dem die britische Besatzungsmacht in den Jahren 1946 bis 1947 ein Verhörlager betrieb. Hier inhaftierten die Briten u.a. hochrangige Nationalsozialisten, von denen sie sich z.B. Informationen über eine mögliche Partisanenarmee erhofften, die den Krieg gegen die Alliierten fortsetzen sollte. Dabei litten die Gefangenen zweifelsfrei unter unmenschlichen Haftbedingungen gekennzeichnet durch Folter, Mangelernährung und eine miserable medizinische Versorgung, die den Tod von mindestens zwei Gefangenen herbeiführten.
Diese unhaltbaren Zustände erlauben es den Neonazis, die damaligen Geschehnisse in Bad Nenndorf für eine radikale Umdeutung der Geschichte zu instrumentalisieren: Sie sehen die Ereignisse im „Wincklerbad“ als Belege für umfassende alliierte Kriegsverbrechen an der deutschen Zivilbevölkerung und intendieren demnach eine Gleichsetzung deutscher und alliierter Kriegsverbrechen, was zugleich eine Relativierung deutscher Gräueltaten während des „Dritten Reiches“ beinhaltet.
Um dieses Geschichtsbild öffentlichkeitswirksam zu propagieren, veranstalten die Neonazis die zuvor angesprochenen Demonstrationen, die sie bereits bis zum Jahr 2030 bei den zuständigen Behörden angemeldet haben. Offensichtlich soll die niedersächsische Kleinstadt neben Dresden zu einer neuen nationalen Pilgerstätte der Rechten avancieren und damit Wunsiedel als Identifikationsort der Rechtsradikalen ablösen. In der Tat fanden sich in einigen Jahren mehrere Hundert Demonstranten in Bad Nenndorf ein, die sich jedoch einer großen Zahl an Gegendemonstranten gegenübersahen. Dank des Engagements großer Teile der Bürger des Kurortes, die sich u.a. zum Bündnis „Bad Nenndorf ist bunt“ zusammenschlossen, gelang es so, die Zahl der Teilnehmer aufseiten der Rechtsextremen in der jüngsten Zeit deutlich zu reduzieren.
Mithilfe der vorliegenden Materialien sollen die Schülerinnen und Schüler die von den Rechtsradikalen vorgenommen Instrumentalisierung und Umdeutung der Geschichte erkennen und vor allem die hier vorgenommene Relativierung deutscher Verbrechen während des „Dritten Reiches“ zurückweisen.
II. Möglicher Ablauf der Unterrichtssequenz
Zur Behandlung der grundlegenden Inhalte reicht es aus, mit den Schülern im Rahmen einer Doppelstunde den Überblickstext zu bearbeiten und anschließend die – unzulässige - Gleichsetzung der Inhaftierungen im „Wincklerbad“ mit den Verbrechen des „Dritten Reiches“ zu thematisieren. Die Biographien sowie der Artikel aus der „Zeit“ sind dagegen als Materialien zur Vertiefung gedacht, mithilfe derer die Verschiedenartigkeit dieser historischen Prozesse stärker verdeutlicht werden kann. Zunächst können sich die Schülerinnen und Schüler dabei in arbeitsteiliger Gruppenarbeit mit den drei bereitgestellten Biographien auseinandersetzen. Im nächsten Schritt studieren sie in Einzelarbeit den Zeit-Artikel und diskutieren die Inhalte im Klassenverband.
III. Einstieg
Als Annäherung und Problematisierung des Themas bietet sich die „Bürgerinformation“ des „Gedenkbündnisses Bad Nenndorf“ an. Dieser rechtsextreme Flyer (AB1a und AB1b), der sich an „couragierte“ „Volksgenossen“ richtet und diese über „historische Tatsachen“ aufzuklären vorgibt, zeigt exemplarisch die Instrumentalisierung der Vorgänge im „Wincklerbad“ durch die extreme Rechte. So wird das Geschehen im britischen Verhörlager Bad Nenndorf zum Anlass genommen, die Geschichte grundlegend umzudeuten. Die Westalliierten werden als „verbrecherische, kriegstreibende Kräfte“ bezeichnet, welche aus Angst vor einem „freien, selbstbewussten und souveränen Deutschland“ einer Aufarbeitung der Verbrechen im Wincklerbad im Wege stehen.
Die folgenden Angaben beziehen sich auf den mittleren Ausschnitt (AB2) des kompletten Flyers. Der komplette Flyer kann zusätzlich als Folie mit einem OH-Projektor an die Wand geworfen werden (AB1a und AB1b). Der mittlere Ausschnitt (AB2) kann dann zur Bearbeitung ebenso an die Wand geworfen werden. Somit ist eine Verteilung der rechtsextremen Propaganda (als Ausdruck) nicht nötig.
Arbeitsauftrag
1. Beschreiben Sie zunächst Ihre eigenen Eindrücke.
2. Benennen Sie dann die möglichen Intentionen der Urheber des Flugblattes.
Lösungsvorschläge
Zu 1.
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Empathie/Mitleid für die inhaftierten Nationalsozialisten, die „schikaniert, genötigt, bedroht, misshandelt [und] gefoltert“ wurden.
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Ob der Bilder eines abgemagerten Mannes, Neugierde mehr zu erfahren.
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Erinnerung an andere Bilder, die man schon gesehen hat, insbesondere von NS-Konzentrations- und Vernichtungslagern.
Zu 2.
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Die Häftlinge werden zu Märtyrern verklärt („grausames Martyrium“).
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Diese Wirkung wird noch unterstrichen, durch die Auswahl der Bilder, welche offenkundig eine Gleichsetzung mit der Situation der Insassen nationalsozialistischer Konzentrations- und Vernichtungslager intendieren. (Es sollte hier ggf. darauf hingewiesen werden, dass die Fotos von britischen Ärzten aufgenommen wurden, um eine Aufklärung der von der britischen Regierung als problematisch eingeschätzten Vorgänge in Bad Nenndorf zu ermöglichen).
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Die Alliierten werden als verbrecherisch dargestellt („alliierte Nachkriegsverbrechen“). Sie gingen scheinbar willkürlich vor (Zitat) und haben das deutsche Volk nur scheinbar befreit (Textteile sind in Anführungszeichen gesetzt).
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Die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland wird infrage gestellt, da angebliche „Systemhistoriker“ die Alliierten vermeintlich nicht öffentlich kritisieren dürfen.
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Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Nationalsozialisten während des NS-Regimes werden mit punktuellem Fehlverhalten der britischen Besatzungsmacht (am Beispiel der Missstände im Auffanglager Bad Nenndorf) gleichgesetzt.
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Ergebnis: Eine Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen (Holocaust).
Nebenbemerkung: Die im Flyer aufgestellten Behauptungen sind unter Umständen richtigzustellen. Tatsächlich wurden – entgegen der Behauptung der Neonazis – keine Kinder („Jungen“) inhaftiert. Es wurden hingegen wichtige Amtsträger der NSDAP, der Wehrmacht, der SS, der HJ und anderer NS-Organisationen inhaftiert. Weiter ist es falsch, dass „viele“ das Verhörlager nicht überlebten. Bekannt ist, dass es zwei Todesfälle im Krankenhaus gab. Darüber hinaus kann darauf aufmerksam gemacht werden, dass durch Einschübe wie „Natürlich wissen wir, ...“ typische rechtsextreme Phantasien von böswilligen Vernichtungsplänen gegen „die Deutschen“ assoziiert werden. Unklar ist zudem, ob es ein entsprechendes Zitat aus den Vernehmungen überhaupt gibt.
IV. Erarbeitung des historischen Hintergrundes
Der historische Hintergrund wird in Einzelarbeit anhand des Arbeitsblattes AB 3 „Das Verhörlager ‚Wincklerbad’ in Bad Nenndorf (1945-1947) (AB3) erarbeitet.
Arbeitsauftrag
Fertigen Sie eine Zeitleiste von Mai 1945 bis Juli 1948 an und tragen Sie die wichtigsten Ereignisse zur Geschichte des Verhörlagers in Bad Nenndorf ein.
Lösungsvorschlag
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1. August 1945: Errichtung des CSDIC* No. 74 in Bad Nenndorf durch das britische Militär, ca. 2.000 Leute müssen ein ca. 25 ha großes Areal um das Wincklerbad und das Badehaus verlassen. Das Gebiet wird durch Stacheldrahtzaun gesichert.
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1945/46: Vornehmlich Internierung hoher NS-Funktionäre auf Grundlage des „Automatic Arrest“ ohne Einzelfallprüfung, Besatzungsbehörden wollen vor allem Partisanenkrieg verhindern, schwere Misshandlung der Gefangenen. 1946/47 Nunmehr vor allem Inhaftierung vermeintlicher sowjetischer Spione oder Kommunisten, weiterhin sind Folter und Unterernährung an der Tagesordnung. Mind. 100 Gefangene müssen in Krankenhäuser überstellt werden.
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Februar 1947: Zwei Gefangene aus Bad Nenndorf sterben innerhalb von 24 Stunden nach ihrer Einlieferung in das Militärkrankenhaus Rotenburg/Wümme an Verletzungen, die ihnen im „Wincklerbad“ zugeführt wurden.
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Februar – April 1947: Beginn einer Untersuchung der Vorgänge im CSDIC No. 74 durch britische Militärbehörden, erste Debatte im Unterhaus.
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April 1947: Entlassung des Lagerkommandanten
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Juli 1947: Schließung des Verhörlagers
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März – Juli 1948: Vorwiegend nicht-öffentliche Prozesse gegen Angehörige der Lagerleitung und den Lagerarzt vor britischen Militärgerichten in Hannover, Hamburg und London, die mit Freisprüchen bzw. Entlassung aus dem Dienst enden.
Im Rahmen dieser Phase können auch die zeitgenössischen Bilder gezeigt werden: (AB4). Die Bilder sind von 1946 und zeigen Teile des Areals. Im Gebäude des ehemaligen Wincklerbades befinden sich heute einige Arztpraxen, größere Teile stehen leer.
* Combined Services Detailed Interrogation Camp (genaue britische Bezeichnung des Verhörlagers)
V. Abschluss/Vertiefung
Abschließend sollten in jedem Fall die Gründe besprochen werden, warum die Vorgänge im Verhörlager „Wincklerbad“ nicht mit den Verbrechen des Nationalsozialismus gleichzusetzen sind, auch wenn hier zweifellos schwere Grundrechtsverstöße zu konstatieren sind. Dies kann entweder in Form des Exkurses geschehen, falls die Zeit im Unterricht nicht jedoch reicht, ist eine entsprechende Abschlussdiskussion auch bereits hier gut möglich.
Aufgabenstellung
Erläutern Sie, inwiefern sich die Vorgänge im Verhörlager „Wincklerbad“ und die Verbrechen der Nationalsozialisten unterscheiden.
Lösungsvorschläge
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Es handelte sich beim „Wincklerbad“ um einen Sonderfall innerhalb des alliierten Lagersystems. In den Jahren 1945/46 wurden in der britischen Besatzungszone – vornehmlich aus Angst vor einem Wiederaufleben des NS – ca. 90.000 Menschen in „Civil Internment Camps“ untergebracht, die in der Regel entsprechend dem Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen nicht gefoltert wurden (vgl. Anhalt/Holz, S. 33).
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Im „Dritten Reich“ war – im Gegensatz zum Vereinigten Königreich - die Ausgrenzung, Entrechtung, Internierung und auch Vernichtung von „Gemeinschaftsfremden“ ein Ziel staatlichen Handelns. Daher ist eine Gleichsetzung unzutreffend.
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Die Vorgänge im CSDIC No. 74 wurden durch britische Behörden – ohne internationalen Druck – untersucht und im Parlament öffentlich diskutiert, zudem kam es zu Gerichtsprozessen, bei denen die Opfer durchaus aussagen konnten, d.h. die Verbrechen wurden mit den Mitteln des Rechtsstaats aufgeklärt und gestoppt.
VI. Exkurs I: Exemplarische Biographien von Inhaftierten
Die Schülerinnen und Schüler erhalten anhand von ausgewählten Biographien (AB5) Einblick in die Lebensläufe einiger Inhaftierter mit NS-Hintergrund. Aufgrund der Zielsetzung der Unterrichtssequenz wird auf Beispielbiographien der späteren Gefangenen, denen man z.B. Spionage für die UdSSR vorwarf, aus.
Anhand der hier ausgewählten Inhaftierten können die Schüler erkennen, dass sich in Bad Nenndorf hochrangige Vertreter des NS-Regimes befanden, die im Rahmen der Bemühungen um die Entnazifizierung und aus Furcht vor einem Partisanenkrieg gegen die Alliierten festgesetzt und vernommen wurden. In allen drei Fällen klagten die Gefangenen – wie im rechtsextremen Flugblatt aktuell behauptet - über Misshandlungen. Tatsächlich wird anhand der Häftlingsbiographien jedoch auch sichtbar, dass es Unterschiede bei der Behandlung im Verhörlager gab. So genoss Nicolaus von Below einige Privilegien, diese waren - offensichtlich der Tatsache geschuldet, dass sich die Briten von ihm besonders sensible Informationen erhofften. Zugleich erlaubt die Betrachtung der Lebensläufe auch einen Einblick in die Bestrafungspraxis gegenüber hochrangigen NS-Funktionären in der Bundesrepublik Deutschland.
Die hier ausgewählten Biographien können von den Schülern – ggf. arbeitsteilig (in Kleingruppenarbeit) – nach den u.g. Kriterien ausgewertet werden. Die Ergebnisse werden in die bereitgestellt Tabelle eingetragen (AB6).
Aufgabenstellung
Füllen Sie die Tabelle auf Grundlage der von Ihnen bearbeiteten Biographie aus.
Lösungsvorschlag
Otto Dietrich Nicolaus von Below Oswald Ludwig Pohl Position im „Dritten Reich“ Reichspressechef der NSDAP (ab 1931), Vorsitzender des Reichsverbandes der Deutschen Presse (ab 1933) und Pressechef der Reichsregierung (ab 1934) Luftwaffenoffizier in der „Adjutantur der Wehrmacht beim Führer und Reichskanzler“, gehörte zum inneren Zirkel Hitlers Leiter des SS-Wirtschafts-verwaltungshauptamtes im Range eines SS-Obergruppenführers und Generalleutnants der Waffen-SS, wichtiger Organisator des Holocaust Erfahrungen während der Inhaftierung - er verfasste Berichte über das NS-Nachrichten- und Propagandasystem sowie Charakteranalysen von führenden NS-Funktionären
- Erniedrigung (Reinigung der Toiletten)
- er sollte Hitlers letzte geheime Befehle aufschreiben
- erhielt daher (meist) Sonderbehandlung (beheiztes Einzelzimmer, später gewisse Bewegungsfreiheit)
- berichtete über schlechtes Essen
- ihm wurden auf dem Weg zu (vermeintlichen) Verhören zwei Zähne ausgeschlagen, wobei der Vernehmungsoffizier die Schuldigen zu finden versuchte Strafmaß 7 Jahre Gefängnis, jedoch Begnadigung im Jahr 1950 Tod durch den Strang Weiterer Werdegang Tätigkeit bei der Deutschen Kraftfahrt-gesellschaft Lebte bis zu seinem Tod 1984 in Norddeutschland
VII. Exkurs II: Zeit-Artikel von Heiner Wember: Tommies als Täter
In dem Zeit-Artikel vom 30. März verwahrt sich Heiner Wember gegen die z.B. im Flyer zum „Ehrenmarsch“ 2013 vorgenommen Gleichsetzung der NS-Verbrechen mit den Vorgängen im „Wincklerbad“ (AB7).
Aufgabenstellung
Notieren Sie die von Wember genannten Gründe, aus denen er eine Gleichsetzung der Vorgänge im „Wincklerbad“ und der Verbrechen im „Dritten Reich“ ablehnt.
Lösungsvorschläge
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Die Aufklärung der Verbrechen in Nenndorf und die Schließung des Lagers erfolgte durch die britischen Behörden. Dies zeige die Überlegenheit der Demokratie (Zeile 10-2)
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Im „Dritten Reich“ wurden die Verbrechen – im Gegensatz zur britischen Besatzungszone – verschwiegen (14f.)
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Ein Gefangener konnte sich beschweren, was den Besuch des Lagers durch den Abgeordneten Stokes sowie eine Unterhausdebatte zur Folge hatte (29-35). Man kann sich vorstellen, wie eine ähnliche Beschwerde eines KZ-Häftlings geendet wäre (besonderes Quälen, sofortiges Erschießen etc.).
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Nenndorf war eine Ausnahme, was den Umgang mit (vermeintlichen) NS-Tätern durch die britischen Alliierten betrifft. Die insgesamt ca. 90.000 in der britischen Zone Inhaftierten wurden überwiegend „korrekt“ behandelt (46-50).
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... (vgl. auch Lösungsvorschläge unter Abschluss/Vertiefung)
VIII. Weitere Informationen
Anhalt, Utz und Steffen Holz, Das verbotene Dorf, Hannover 2011.
Etwas unkritische Homepage des MI5.
https://www.mi5.gov.uk/home/mi5-history/the-cold-war/bad-nenndorf.htmlUmfassender Artikel von Ian Cobain vom Dezember 2005, der dem Thema wieder größere Aufmerksamkeit bescherte.
http://www.theguardian.com/uk/2005/dec/17/secondworldwar.topstories3Weiterer Artikel von Cobain, der die von Wember angesprochenen Fotos zeigt, auch wenn dieser Artikel laut der Datierung der Online-Ausgaben nach dem Zeit-Artikel erschien.
http://www.theguardian.com/politics/2006/apr/03/uk.freedomofinformationDer Zeit-Artikel ist die Grundlage des Arbeitsblattes AB4 „Tommis als Täter?“ (AB7)
http://www.zeit.de/online/2006/14/bad_nenndorfEinziger Artikel im Spiegel-Archiv, der das Verhörlager (en passant) erwähnt. Man gewinnt den Eindruck, das Verhörlager sei allgemein bekannt gewesen.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44439435.html -