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Das Planspiel „Richtig ermittelt?!"

Idee und Entwicklung

Ausgangspunkt und Ziel war es, ein handlungsorientiertes, zielgruppenspezifisches Bildungsangebot für die Polizeiarbeit im demokratischen deutschen Rechtsstaat des 21. Jahrhunderts zu entwickeln, das menschenverachtende und rassistische Delikte kritisch reflektiert und die polizeiliche Bearbeitungskompetenz stärkt.

Die Idee zum Planspiel „Hasskriminalität“ entwickelte sich im Rahmen des Projekts „Politische Bildung und Polizei“, welches im Zuge der parlamentarischen Auseinandersetzung mit den NSU-Verbrechen und den staatlichen Bearbeitungsschwierigkeiten an der Deutschen Hochschule der Polizei, der Bundezentrale für Politische Bildung und der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung NRW etabliert wurde. Die Frage war, wie Vorurteilskriminalität, Rassismus und rechtsextremer Terror auf der Grundlage aktueller Gesetzgebung und Neujustierungen für die Polizeiarbeit besprechbar gemacht werden können. Das Planspiel wurde unter Koordination von Dr. Britta Schellenberg an der Ludwig-Maximilians-Universität und in Zusammenarbeit mit Martin Thüne von den polizeilichen Bildungseinrichtungen der Thüringer Polizei und mit der Unterstützung von Rabia Kökten (LMU) entwickelt.

Aufgrund des unterschiedlichen Wordings und unterschiedlicher Zugänge von wissenschaftlichen und polizeilichen Akteur*innen im Problemfeld wurde im ersten Schritt, mit der freundlichen Unterstützung des Leiters des DHPOL-Projekts, Prof. Bernhard Frevel, ein problemorientierter Austausch zwischen Vertreter*innen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen (Politikwissenschaft, Erziehungswissenschaft, Polizeiwissenschaft) und Polizei (Aus- und Fortbildung, praktischer Dienst) organisiert. Ziel war es, gemeinsam auszuloten, wie ein fachlich und didaktisch hochwertiges Aus- und Fortbildungsangebot zur Professionalisierung von Polizei angesichts der gesellschaftlichen Bedrohungslage durch gegenwärtige rassistische, antisemitische und rechtsextreme Gewaltdelikte, wie sie durch den „NSU", den Mord am Kassler Regierungspräsidenten und die Morde in „Halle“ und „Hanau“ sichtbar wird, ausgestaltet werden sollte.

Entstanden ist das Planspiel: „Richtig ermittelt?!“. Es führt interaktiv und multimedial in die professionelle Polizeiarbeit im Kontext von Hasskriminalität, Rassismus und Antisemitismus ein.

Zielsetzung und Inhalte

Problemstellung

Zentrales Ziel ist es, für eine professionelle Ermittlungsarbeit im Bereich der rassistischen Vorurteilskriminalität bzw. Hasskriminalität zu sensibilisieren. Die intensive Auseinandersetzung mit einem exemplarischen Fall und (potenziell) in Frage kommenden Ermittlungsrichtungen (Extremismus, PMK, Hasskriminalität und Organisierte Kriminalität) soll zur weiteren Professionalisierung der polizeilichen Ermittler*innen beitragen.

Zielgruppen

Polizist*innen und angehende Polizist*innen in der polizeilichen Ausbildung (mittlerer Polizeivollzugsdienst und Studium für gehobenen sowie höheren Polizeivollzugsdienst), polizeilichen Fortbildung.

Erste Kenntnisse und Erfahrungen der Teilnehmer (TN) bezüglich polizeilicher Ermittlungsabläufe sind notwendig.

Wo ist das Planspiel einsetzbar?

  • Training und Fortbildung

    Das Planspiel ist bundesweit in unterschiedlichen Kontexten einsetzbar: Für die Ausbildung (mittlerer Dienst), das Studium (gehobener Dienst oder höherer Dienst) und im Bereich der Fortbildung (Einzeldienst, Geschlossene Einheiten, Führungskräfte). Angeboten werden zudem Schulungen für Multiplikator*innen aus der polizeilichen Bildungsarbeit. So können sich etwa Dozent*innen an Polizeihochschulen fortbilden lassen und sich damit für eine eigenständige Umsetzung des Planspiels qualifizieren. In Rheinland-Pfalz und Thüringen beispielsweise wurde das Planspiel mit Studierenden im dritten Ausbildungsjahr durchgeführt. Zudem wurden Dozent*innen der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz mit dem Bildungsprogramm fortgebildet, damit eine Integration in die eigene Lehre möglich wird.

  • Etablierung im Curriculum der Polizei-Ausbildung

    Beispiel: In Thüringen ist das Planspiel zum Thema „Rassismus und Hasskriminalität“ ab 2020 curricular in der Projektwoche „Politische Bildung und Demokratie“ verankert. Die Projektwoche wurde von Frau Heike Langguth (und Herrn Thomas Ley), Leiterin der Polizeilichen Bildungseinrichtungen in Thüringen (ehemaliger Leiter), und Herr Holger Obbarius, Leiter der Abteilung Gedenkstättenpädagogik, bei der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, für Polizeiauszubildende etabliert und fokussiert das Thema Auseinandersetzung mit der Rolle der Polizei und der Polizeigeschichte im Nationalsozialismus.
    Das Planspiel nimmt aktuelle Herausforderungen der Polizei in der pluralen, demokratischen Gesellschaft in den Blick. Es wird am letzten Tag der Projektwoche durchgeführt. Es soll damit ermöglichen, den Bogen zu spannen zwischen der Geschichte der systematischen, staatlich betriebenen Entwürdigung und Ermordung von Menschen und den Anforderungen der Polizeiarbeit der Gegenwart. In der pluralen Demokratie stellen Hasskriminalität, Rassismus und Antisemitismus polizeiliche und gesellschaftliche Problemfelder dar, die es nachhaltig und professionell zu ermitteln und zu ahnden gilt.

Ziel des Planspiels

Bezogen auf den Themenkomplex Kriminalitätsbekämpfung und Delikteinordnung lernen die Teilnehmenden handlungsorientiertes Wissen über

(a) konkrete Deliktzuordnungen (PMK, Hasskriminalität, Extremismus, Organisierte Kriminalität),

(b) das Phänomen der Hasskriminalität (Konzept und rechtliche Grundlagen) sowie

(c) professionelle Ermittlungsarbeit im Bereich der Vorurteils-/Hasskriminalität.

Ablauf

Die TN führen in einem Planspiel Ermittlungen zur Aufklärung eines konkreten Falles durch. Die TN übernehmen je hälftig die Rolle (a) von Ermittler*innen in konkreten Ermittlungsteams und (b) von Zeug*innen (Opferzeug*innen und allgemeinen Zeug*innen) und Täter*innen. Am Ende werden die Ermittlungsergebnisse in der Gesamtgruppe vorgestellt, die Erfahrungen und Eindrücke, die die TN in den verschiedenen Rollen gemacht haben, besprochen und die Bedeutung von unterschiedlichen Kategorisierungen und Klassifikationssystemen für die Ermittlungsarbeit diskutiert.

Varianten

Es liegen fünf Ausgangssituationen vor, die jeweils auf einem konkreten Fall basieren. Die jeweiligen Fälle fußen auf authentischen Ereignissen – liegen hier aber verfremdet vor. Je nach Auswahl starten die Ermittler*innen in unterschiedlichen Settings: Mit der Erstmeldung/ im Streifenwagen oder mit dem ersten Ermittlungsbericht/ Sachbearbeitung oder mit einem Zwischenbericht/ Sonderkommission. Für jeden Fall liegt spezielles Material bereit. Den Ermittler*innen werden – in Variante 1 - keine Vorgaben zur konkreten Ermittlungsrichtung gemacht, sie ermitteln „frei" oder werden – in Variante 2 - vorab in die Thematik von Hasskriminalität und PMK eingeführt, bilden sich dann spielerisch weiter bzw. vertiefen ihre Kompetenzen.

Zeit: rund 4 Stunden (reine Spielzeit, ohne Pausen), plus jeweils 30 min Einführung und Abschluss. Idealerweise sollte ein Zeitraum von 6 (bis 8) Stunden ermöglicht werden.

Anzahl der Teilnehmenden: mindestens 16, höchstens 40, idealerweise 20-30.

Angebote zum Planspiel

Hintergrund

Schwächen im Erkennen von Hasskriminalität haben konkrete Folgen für die Sicherheit der Bürger*innen und Menschen in Deutschland. Es hat sich wiederholt gezeigt: Ein beträchtlicher Teil der Kriminalität wird nicht erkannt, nicht korrekt zugeordnet und kann somit nicht zielorientiert bearbeitet werden. Vorurteilskriminalität wurde in der Vergangenheit noch am ehesten dann erkannt, wenn die Täter organisierte Rechtsextreme waren (Coester 2017; Schellenberg 2019).

Es besteht die Gefahr, dass Vorurteilskriminalität immer wieder der allgemeinen oder der Organisierten Kriminalität (OK) zugeordnet wird. Besonders markant zeigte der NSU-Fall, dass diverse Polizeien in verschiedenen Bundesländern die Motivlage nicht erkannten, sondern stattdessen gegen die Opfer und ihrer Familien ermittelten, weil sie sich auf die Ermittlungsrichtung OK festlegten. Die Opfergruppen und ihr Wissen wurden nicht berücksichtigt.

Die OSZE empfiehlt die konzeptionelle und rechtliche Etablierung der Hasskriminalitäts-Kategorie (Schellenberg/Lang 2016). Zahlreiche Länder haben schon seit Langem Hasskriminalitätsgesetzgebungen umgesetzt (u.a. USA, GB, F). In Deutschland ist die Etablierung recht neu: Zum rechtlichen Rahmen in Deutschland gehören heute § 46.2 StGB, die PMK-Erfassung der Polizei sowie die Einführung der Verlaufsstatistik der Justiz.

Quellen zum Text

Coester, Marc (2017): Das Konzept der Vorurteilskriminalität und Folgen für die polizeiliche Praxis. In: Kopke, Christoph / Kühnel,

Wolfgang (Hrsg.): Demokratie, Freiheit und Sicherheit. Festschrift zum 65. Geburtstag von Hans-Gerd Jaschke. Wissenschaftliche Schriften der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Band 63, Baden- Baden: Nomos, 167-182.

Schellenberg, Britta (2019): Hate Crime und rassistische Gewalt: Konzeptionalisierungs- und Bearbeitungsprobleme in Deutschland, in: Hans-Jörg Albrecht, Rita Haverkamp, Stefan Kaufmann und Peer Zoche (Hrgs.): (Un-) Sicherheiten im Wandel. Reihe: Zivile Sicherheit. Schriften zum Fachdialog Sicherheitsforschung, Berlin: Lit Verlag 2019, S. 43-68.

Schellenberg, Britta / Lang, Kati (2016): Toleranz und Nichtdiskriminierung. Bekämpfung von Diskriminierung und Hasskriminalität. In: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Die Umsetzung ausgewählter OSZE Verpflichtungen zu Menschenrechten und Demokratie in Deutschland. Unabhängiger Evaluierungsbericht anlässlich des deutschen OSZE Vorsitzes 2016, Berlin: DIMR, 10-40.


Weitere Veröffentlichungen

Ja, es hilft, eine diskriminierungsfreie Sprache sowie einen sensiblen, vorurteilsfreien und wertschätzenden Umgang einzuüben. Dieses Projekt kommt zur rechten Zeit!

Reiner Schübel, Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, über das Projekt DEN MENSCHEN IM BLICK