Analyse, Beratung & Training – Zentrum in Zusammenarbeit mit der LMU München

Interview mit Herrn Reiner Schübel

Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (ELKB)

www.bayern-evangelisch.de

07.06.2018


Heute spreche ich mit Herrn Reiner Schübel, Kirchenrat, Leiter des Referats für Diakonie im Landeskirchenamt der Evang.-Luth. Kirche in Bayern (ELKB) und Leiter der Steuerungsgruppe zum Handlungskonzept der ELKB gegen Rechtsextremismus. Hallo, Herr Schübel!

Hallo!

Was besorgt Sie aktuell zum Thema Rassismus und Diskriminierung?

Leider ist das Thema ja nahezu täglich in den Medien präsent: es wird über Angriffe im öffentlichen Raum auf Menschen jüdischer Herkunft oder Äußerungen gegen Migranten und Muslime berichtet. Relevant ist auch das Thema „Diskriminierung gegen Frauen oder Menschen anderer Prägung oder Herkunft". Aktuell besorgniserregend erscheint mir, dass eine Partei in den Bundestag eingezogen ist, die sich mit ihrer Agenda explizit gegen Migration und auch gegen Migranten wendet. Leider besteht ihre Fraktion im Bundestag zu einem Drittel aus Personen, die deutlich rechtsextreme oder verfassungsfeindlich Positionen vertreten.

An welchen Punkten oder Problemen müsste man stärker arbeiten?

Wesentlich ist, im Alltag dort schnell zu reagieren, wo diskriminiert wird oder rassistische Äußerungen laut werden. Wenn beispielsweise in den Schulen das Wort „Jude" wieder als Schimpfwort benutzt wird oder andere derartige Äußerungen ohne Kommentierung erfolgen, dann gibt es dringenden Handlungsbedarf. Man müsste besonders mit der Leitung sowie dem pädagogischen Personal sprechen. Wichtig ist, bei solchen Vorfällen zu hinterfragen, aufzuklären und deutliche Zeichen zu setzen. Es kann nicht sein, dass ein jüdischer Junge nicht mehr in eine Schule gehen kann, weil er von einer Gruppe Andersgläubiger gemobbt wird. Da muss die Schule reagieren, die Mobber der Schule verweisen und den Jungen schützen, der diskriminiert und bedroht wird. Zudem ist es sinnvoll und notwendig, Begegnungen zwischen jüdischen, christlichen, muslimischen Schülern zu initiieren, um gegenseitiges Kennenlernen zu ermöglichen.

Wo begegnen Sie in der Öffentlichkeit Rassismus oder Diskriminierung?

Wenn man die Äußerungen verschiedener AfD-Politiker im öffentlichen Raum wahrnimmt, haben diese auffällig viel mit Rassismus, Ausgrenzung und oft auch Diffamierung zu tun. Das darf so nicht stehen bleiben. Zwar wird dem öffentlich widersprochen, aber es ist besorgniserregend, dass das schon solche Ausmaße annimmt. In Bayern gibt es die Studie zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit der LMU, an der sich Kirchen und andere gesellschaftliche Gruppen mit beteiligt haben. Dabei ist deutlich geworden, dass in besonderer Weise Vorurteile oder auch diskriminierende Einstellungen gegen Muslime auftreten. Das spiegelt sich in der Bevölkerung, betrifft auch zum Teil die Kirchen. Außerdem - auch wenn es in dieser spezifischen Studie nicht so deutlich wird - sind Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft häufig von Diskriminierung betroffen. Diese erfolgt oft unter dem Deckmantel des Antizionismus. Zudem werden Menschen jüdischen Glaubens häufig in Deutschland für die Politik der Regierung Israels „in Haft genommen", obwohl sie sich politisch ganz anders orientieren, in Deutschland leben und eine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.

Was tut Ihre Institution gegen Rassismus und Diskriminierung?

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern hat auf Bitte der Synode vor einiger Zeit ein Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus unter dem Titel „Ja zu gelebter Menschenfreundlichkeit Gottes, Nein zum Rechtsextremismus" entwickelt. Dieses Handlungskonzept wurde von allen kirchenleitenden Organen - wie Synode, Landesbischof, Landeskirchenamt und Landessynodalausschuss -einstimmig und ohne Enthaltung oder Gegenstimme verabschiedet. Darin wird eine Grundpositionierung für unsere Landeskirche formuliert: für klare Menschenfreundlichkeit und gegen jede Form von Rassismus, gegen jede Form von Ausgrenzung und Diskriminierung einzustehen.

Wie steht die mit Ihrer Institution verknüpfte Glaubensrichtung zu Rassismus und Diskriminierung?

Wie schon angedeutet wird in unserem Handlungskonzept deutlich, dass wir als Evangelische Kirche jede Form von Rassismus oder Diskriminierung, die sich auch in Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit äußern kann, ablehnen. Wir positionieren uns deutlich dagegen, weil solche Einstellungen mit unserem Selbstverständnis, unseren Grundpositionen und Leitsätzen und auch mit dem theologischen Verstehen unseres Glaubens nicht in Einklang zu bringen sind.

Haben Sie Leitbilder oder Glaubenssätze, die sich gegen Rassismus oder Diskriminierung richten?

Ausgehend von der Gottebenbildlichkeit aller Menschen zieht sich ein roter Faden zu der schon in alttestamentlichen Textstellen formulierten Nächstenliebe und Freundlichkeit bis hin zur im Neuen Testament aufgenommenen Feindesliebe durch die biblischen Quellen. Deshalb artikuliert unser Glaube die gleiche Würde aller Menschen. Die Würde eines jeden Menschen ist unverfügbar von Gott gegeben und geschenkt. Dieses Geschenk bedeutet, dass wir ein besonderes Augenmerk auf schwächere und vulnerablere Menschen haben. Das können auch Personen sein, die aus anderen kulturellen Kontexten kommen und in Deutschland zunächst Fremde sind. Auch ihnen gilt unsere Aufmerksamkeit.

Haben Sie einen persönlichen Tipp gegen Rassismus oder Diskriminierung?

Im Umgang mit Rassismus und Diskriminierung ist es vielleicht klug, zunächst nachzufragen und so auf Widersprüche zu stoßen und diese zu benennen. Dadurch wird es möglich, andere Leitbilder, falsche Vorstellungen oder auch Ängste anzusprechen und zu bearbeiten. Wenn sich jedoch dabei zeigt, dass das Gegenüber von festen Feindbildern oder Stereotypen geleitet wird, dann gilt es, deutlich zu widersprechen, sich davon zu distanzieren und dagegen aufzustehen.

Vielen Dank, Herr Schübel!

Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (ELKB)

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, die drittgrößte der 20 Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), hat etwa 2,41 Millionen Gemeindeglieder in 1.538 Pfarrgemeinden (vgl. „Daten, Zahlen, Fakten"). Mehrere Gemeinden bilden einen Dekanatsbezirk, mehrere Dekanatsbezirke einen Kirchenkreis (vgl. „Der organisatorische Aufbau"). Die Leitung der Kirchenkreise (Regionalbischof/Regionalbischöfin) ist als Oberkirchenrat/Oberkirchenrätin genauso wie die Abteilungsleiter/Abteilungsleiterinnen des Landeskirchenamts Mitglied im Landeskirchenrat, dessen Vorsitz der Landesbischof/die Landesbischöfin führt (vgl. ebd.).
Landesbischof/Landesbischöfin, Landeskirchenrat, Landessynode (108 gewählte Vertreterinnen und Vertreter) sowie der Landessynodalausschuss leiten gemeinsam die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (vgl. ebd.). Innerhalb der ELKB erstreckt sich die Arbeit auf zehn Handlungsfelder: (1)Gottesdienst, Verkündigung und Spiritualität, (2)Gemeindeaufbau und –entwicklung, (3)Erziehung, Bildung und Unterricht, (4)Beratung und Seelsorge, (5)Gesellschaftsbezogene Aufgaben, (6)Ökumene, Mission und Entwicklungsdienst, (7)Diakonisches Handeln, (8)Presse, Öffentlichkeitsarbeit und Medien, (9)Aus-, Fort- und Weiterbildung und (10)Gemeindeleitung, Kirchenleitung und Verwaltung (vgl. „Handlungsfelder"). Diese Handlungsfelder finden sich auch in den Abteilungen des Landeskirchenamtes als oberste Dienstbehörde der ELKB wieder (vgl. „Oberste Dienstbehörde, Koordinierungszentrale").

Andrea Seidel: "Zahlen, Daten, Fakten", 21.07.2017

Andrea Seidel: „Der organisatorische Aufbau", 10.03.2016

Andrea Seidel: "Oberste Dienstbehörde, Koordinierungszentrale", 17.09.2015

Evangelische Kirche in Bayern: "Handlungsfelder"


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Das Projekt „Den Menschen im Blick“ gibt wichtige Impulse für eine professionelle und rassismuskritische Praxis in unserer pluralen Gesellschaft. Besonders spannend finden wir, dass auch institutionelle Routinen in den Blick genommen werden.

Dr. Miriam Heigl, Fachstelle für Demokratie, Stadt München, über das Projekt DEN MENSCHEN IM BLICK