Interview mit Dr. Benjamin Idriz
Münchner Forum für Islam e.V.
19.10.2018
Heute spreche ich mit Dr. Benjamin Idriz, Imam der Islamischen Gemeinde Penzberg und Vorsitzender des Münchner Forum für Islam e.V.
Hallo, Herr Dr. Idriz!
Hallo!
Was besorgt Sie aktuell zum Thema Rassismus und Diskriminierung?
Was mich aktuell besorgt, ist beispielsweise der Fall mit Özil. Wir, die deutsche Gesellschaft, diskutieren über einen Fall, welcher für uns, vor allem für die türkischstämmigen Muslime, von großer Bedeutung ist. Özil war für viele dieser Menschen ein Vorbild wie man in dieser Gesellschaft partizipiert und sich integriert. Er ist in Deutschland geboren und hat für dieses Land sehr viel geleistet. Er hat Deutschland weltweit repräsentiert. Es ist beängstigend, dass allein ein Fehler reicht - wenn wir das Foto von Özil mit Erdogan als Fehler bezeichnen - um ihn als nicht integrierten Menschen zu brandmarken und ihn plötzlich als Türken anstatt als Deutschen zu betrachten. Der Fall Özil ist ein klares Beispiel, wie Rassismus und Diskriminierung in der Gesellschaft salonfähig gemacht werden. Es gibt durchaus Menschen, die diese Entwicklung gutheißen. Das macht mir und natürlich allen Menschen in Deutschland Sorgen. Und wenn das bei einem gut integrierten Menschen wie Özil passiert, dann frage ich mich, wie wird mit anderen Menschen umgegangen?
An welchen Punkten müsste man stärker arbeiten?
Ich bin der Meinung, dass wir uns mit dem Problem des antimuslimischen Rassismus noch härter auseinandersetzen müssen. Nicht nur „klassischer“ Rassismus sollte hierbei ein Thema sein, sondern auch antimuslimische Ressentiments. Der Islam ist im Fokus einer negativen Debatte in Deutschland und Muslime, vor allem die junge Generation, fühlen sich im Zuge dieser sehr ausgegrenzt, nicht anerkannt, nicht wertgeschätzt. Daraus resultiert ein gesamtgesellschaftliches Problem, mit dem wir uns als Gesellschaft nicht erst in Zukunft auseinandersetzen sollten. Menschen, die hier in Deutschland geboren sind oder hier leben, sollte nicht das Gefühl unerwünscht zu sein vermittelt werden. Ihnen müssen wir das Gefühl geben, dass sie ein Teil der Gesellschaft sind, mit allem, was einen Menschen ausmacht: seine Hautfarbe, sein Kopftuch, die Art und Weise, wie er oder sie lebt. Dieses Signal müssen wir an jüngere Menschen geben, damit wir diese Generation nicht verlieren. Daran müssen wir mehr arbeiten: sei es in der Schule, auf der Straße, bei den Sportvereinen, in der Moschee, in Kirchen. Die Themen Diskriminierung, Rassismus und auch die muslimischen Tendenzen müssen offen angesprochen werden und beim Namen genannt werden.
Wie könnte interreligiöser Dialog im Umgang mit Rassismus und Diskriminierung helfen?
Die Religion spielt eine wesentliche Rolle im Leben gläubiger Menschen. Für Muslime, für meine Gemeinde kann ich sagen, dass die Religion auch ein Identifikationsfaktor ist, sie ist ihnen wichtig. Deshalb ist es zentral, was ein Imam, was eine muslimische Gemeinde vermittelt. Das gilt genauso für die beiden Kirchen hier in Deutschland, sowie für jüdische und andere religiöse Gemeinden. Der interreligiöse ist Dialog wichtig, um diese gemeinsamen Ausgangspunkte zu besprechen und in gemeinsamen Aktivitäten und Treffen zu finden. Auf der anderen Seite, parallel zum interreligiösen Dialog, müssen wir in unseren eigenen Gemeinden das Thema Diskriminierung und Rassismus thematisieren. Es kann auch innerhalb einer Gemeinde Rassismus geben, beispielsweise zwischen verschiedenen Ethnien. Die Anfeindung von Muslimen ist nicht das einzige Problem, das in der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland vorliegt, sondern auch versteckte oder unbewusste Rassismus-Tendenzen insgesamt. Das betrifft auch die muslimische Community, auch hier müssen wir entsprechende Tendenzen bekämpfen. Alle Ethnien, alle Nationen, die in einer Gemeinde leben, jeder Einzelne soll sich wohl fühlen und niemand sollte sich ausgegrenzt fühlen. Es ist wirkungsvoll, wenn verschiedene Religionsgemeinschaften gemeinsam das Thema Rassismus und Diskriminierung ansprechen. Es gibt Diskriminierung im Alltag, sei es in der Schule, sei es auf dem Arbeitsmarkt, sei es in Vereinen und Verbänden. Ich glaube, dass die Religionen uns bei diesem Problem sehr viel helfen können. Wenn ein Kardinal, wenn ein Pfarrer, wenn ein Würdenträger seine Stimme in der Öffentlichkeit erhebt und klar Stellung bezieht, so etwa, indem er Fälle von Diskriminierung oder Rassismus in der Öffentlichkeit verurteilt. Gleichzeitig ist es hilfreich, auch in der eigenen Gemeinde das entsprechende Thema aufzugreifen, etwa durch Workshops, durch Predigten, durch Arbeiten oder durch Erziehung.
Was tut Ihre Institution gegen Rassismus und Diskriminierung?
Unsere Institution ist in erster Linie eine Religionsgemeinschaft. Das Problem mit Rassismus und Diskriminierung steht nicht im Fokus. Wir versuchen diese Probleme bereits durch präventive Arbeit zu bekämpfen. So geht es darum, ein Gefühl zu vermitteln, dass alle in der Gesellschaft angekommen sind und sich wohlfühlen können. Die Islamische Gemeinde Penzberg genießt in der Stadtgesellschaft ein hohes Ansehen, eine gewisse Autorität. Die Gemeinde ist nicht versteckt, sie zeigt sich sehr offen gegenüber der Mehrheitsgesellschaft. All das vermittelt ein Gefühl, dass das „Wir“ im Vordergrund steht. Nicht „die Muslime“, nicht „die Christen“, nicht „die Deutschen“, nicht „Die2 sondern „Wir2 sind Wir alle. Ein großgeschriebenes „Wir“. Das ist es, was wir versuchen hier zu vermitteln.
Und wenn sich eine muslimische Familie oder eine muslimische Person, egal ob in der Schule oder wo anders, mit einem Diskriminierungsfall auseinandersetzen muss, dann soll sie zu uns kommen. Wir hören zu und versuchen, das Problem zu lösen. Allerdings bleiben manchmal zwischenmenschliche Probleme. Wir versuchen hier als Gemeinde, die Beteiligten zu unterstützen. Wenn jemand aber ganz offensichtlich Ausgrenzung und Benachteiligung erfährt, er keine Wohnung bekommen kann und wenn er oder sie das ganz klar gehört hat: „Nein, weil du Muslim bist, gebe ich dir meine Wohnung nicht“ – auch das kommt vor - müssen wir diese Menschen begleiten.
Haben Sie Leitbilder oder Glaubenssätze, die sich gegen Rassismus und Diskriminierung richten?
Ich glaube, dass jede Religion Glaubenssätze, religiöse Werte und religiöse Zitate hat, die die Menschen dazu anhalten, nicht rassistisch zu sein und andere Menschen nicht auszugrenzen. Meine Gemeinde, die Gemeinde in Penzberg ist eine sehr, sehr bunte, sehr multinationale, sehr multisprachliche. Ich als Muslim, als ein Würdenträger, versuche, Werte zu vermitteln: dass wir alle gleich sind vor Gott, dass keiner über anderen stehen darf. Dass keine Sprache und keine „Rasse“ und keine Ethnie und keine Weltanschauung besser ist als eine andere. Als Muslim kann ich mich stolz auf die islamischen Glaubensprinzipien beziehen, indem ich sage, dass der Prophet Mohammed gesagt hat: kein Araber ist besser als ein Nicht-Araber und kein Nicht-Araber ist besser als ein Araber, und kein Schwarzer ist besser als ein Weißer und kein Weißer ist besser als ein Schwarzer, die Menschen sind alle gleich. Diese Gleichheit, diese Wertschätzung von Menschen, solche Sätze und solche Glaubensprinzipien finden sich Dutzende im Islam. Der Mensch steht im Fokus, und ich versuche diese Glaubenssätze immer wieder in den Fokus zu stellen und die Menschen daran zu erinnern.
Haben Sie einen persönlichen Tipp im Umgang mit Rassismus und Diskriminierung?
Ja, manchmal sind rassistische Äußerungen vielleicht unabsichtlich. Daher brauchen wir Weiterschulungen und Fortbildungen, die klare Beispiele aufzeigen, wie sich ein Mensch unbewusst rassistisch äußern kann. Und daher mein persönlicher Tipp: Offenheit gegenüber allen Menschen. Ich kann für Muslime sagen, dass wir uns gegenüber der Mehrheitsgesellschaft mehr öffnen müssen, dass wir Begegnungen suchen müssen, dass wir die anderen Kulturen entdecken sollten. Bei jeder Kultur, bei jeder Sprache, bei jeder Weltanschauung müssen wir einen Schatz suchen. Durch diese Begegnungen und durch diesen Austausch können wir andere wertschätzen. Das ist auch für die Mehrheitsgesellschaft gut, weil wir in Deutschland auch ein Rassismus-Problem haben, weil die Mehrheitsgesellschaft diesen Dialog mit Muslimen nicht genug pflegt, vielleicht auch, weil Muslime nicht offen genug sind. Aber ich kann für meine Gemeinde sagen, warum es in dieser Gemeinde oder in dieser Stadt weniger Rassismus-Probleme gibt als in anderen Städten: weil hier Offenheit spürbar ist. Und daher ist mein Tipp, offen zu sein, offen zu reden und sich zu begegnen. Das hilft allen.
Vielen Dank, Herr Dr. Idriz!
Gerne!
Islamische Gemeinde Penzberg
Die Islamische Gemeinde Penzberg e.V. (IGP) agiert seit 1994 als unabhängige, multinationale, neutrale und offene religiöse Gemeinde (vgl. „Die Islamische Gemeinde Penzberg e.V."). Ihre Aufgaben liegen darin, die Integration der Mitglieder zu unterstützen (vgl. ebd.).
Im „Islamisches Forum" genannten Gebäude der Gemeinde werden interreligiöse und –kulturelle Begegnungen und Austausch über muslimisches Leben in Deutschland betrieben (vgl. ebd.). Dadurch sollen Vorurteile abgebaut und Dialog, Information und Kontakte gefördert werden (vgl. ebd.).
Die Gemeinde hat es sich zum Ziel gesetzt, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus sowie die Verneinung von Extremismus, Fanatismus, Antisemitismus und Gewalt als grundlegende Glaubensprinzipien von Muslimen besonders herauszustellen (vgl. ebd.).
Islamische Gemeinde Penzberg: „Die Islamische Gemeinde Penzberg e.V.“