Analyse, Beratung & Training – Zentrum in Zusammenarbeit mit der LMU München

Bestimmung des Phänomens


Leben und Arbeiten in der pluralen Demokratie: rassismuskritisch und diskriminierungssensibel

Das Herzstück von „Den Menschen im Blick" ist der Mensch – der Mensch als Einzelner, als Teil eines Teams, als Teil einer Organisation und als Teil der Gesellschaft.

Wir - unser Team, unsere Partnerorganisationen, die Mitarbeitenden und Klient*innen - wir sind Teil der pluralen Demokratie im Deutschland des 21. Jahrhunderts. Die gesellschaftliche Rahmung von „Den Menschen im Blick" beruht auf der Pluralität von Institutionen und speist sich aus der Vielfalt von Menschen, Ideen und Interessen. Das Versprechen der pluralen Demokratie ist die Teilhabe und Repräsentation jeder*s Einzelnen. Damit rücken wir auch die Idee von Gesellschaft in den Fokus, wie sie im Grundgesetz und mit den Menschenrechten umrissen ist. Einer Gesellschaft, in der jede*r Einzelne gleichwertig ist, gleiche Rechte (und Pflichten) hat, in der jede*r verschieden sein kann.

Den Menschen im Blick: professionelles Arbeiten in der pluralen Demokratie

Die Sprachwissenschaft zeigt uns, dass Sprachbilder und Rahmungen (Frames) das eigene Denken, Verhalten und Handeln prägen - ob im Privaten oder in beruflichen Kontexten. Wir setzen Frames, die Menschen inkludieren.

Rassismus und andere Formen der Diskriminierung sind ein Problem und ein Hindernis. Rassistische Sprachbilder, Routinen und Rahmungen, die Menschen ausgrenzen, gilt es aufzudecken, um sie dekonstruieren zu können. Sie haben nichts mit Menschlichkeit oder mit unserem pluralen, demokratischen Selbstverständnis zu tun. Für eine friedliche, freiheitliche und faire, für eine solidarische Gesellschaft gilt es, ihnen entgegenzutreten.

Für mehr Infos zum Thema Framing.

Einführung in eine kritische Auseinandersetzung mit Rassismus

Rassismus existiert als Denkstruktur und Handlungsmuster. Er beruht auf der Erfindung von Rassen – die Rassen-Ideologie existiert, auch wenn die Existenz von Rassen wissenschaftlich widerlegt ist.

Zur Zeit des Kolonialismus erfanden weiße Europäer*innen die Fiktion weißer Überlegenheit, um Versklavung, Ausbeutung und Verschleppung zu rechtfertigen. In dieser Logik sollten Menschen in Afrika oder indigene Menschen weltweit unterlegen und als minderwertig angesehen werden. Später gewannen Vorstellungen von „Rassenhygiene" politisch an Bedeutung. Mit dem pseudowissenschaftlichen Konstrukt „Rasse" wurden Menschen nach körperlichen Merkmalen wie Hautfarbe und Physiognomie unterteilt, diese Merkmale wurden mit sozialen und kulturellen Mustern kombiniert, um schließlich Menschen unterschiedlich wertigen Gruppen zuzuordnen. Mit den pseudowissenschaftlichen Ansätzen wandelten sich auch die Begründungen für die Diffamierung der „Anderen", für ihren sozialen Ausschluss, für Gewalttätigkeit ihnen gegenüber bis hin zur Vernichtung - besonders technisch elaboriert wurden die „Rassentheorien" im Holocaust durch die systematische Ermordung der von den Nationalsozialist*innen als minderwertig klassifizierten Menschen umgesetzt.

Das Konzept der „Rasse" ist wissenschaftlich widerlegt – dennoch existiert es als Konstrukt in Handlungen und Köpfen der Menschen weiter. Rassismus ist ein vereinfachtes Denken, es fällt leicht, andere aufgrund tatsächlicher oder zugeschriebener Merkmale zu kategorisieren und auszugrenzen, anstatt sich näher mit dem einzelnen Menschen und seiner Besonderheit oder aber auch mit komplexen sozialen Problemlagen zu beschäftigen. Merkmale werden mit Wesenszügen, mit Charakteristika verknüpft. Noch heute haben Menschen in Deutschland aufgrund von Zuschreibungen bezüglich ihres Aussehens, ihrer Hautfarbe, ihres Glaubens, ihrer Herkunft u.v.m. mit Vorurteilen, Benachteiligung und sogar um ihre Daseinsberechtigung sowie um ihre Sicherheit zu kämpfen.

Alltagsrassismus, der auf entsprechenden Kategorisierungen und Vorurteilen fußt, muss nicht intendiert, böse oder abwertend gemeint sein. Äußerungen wie „Asiatische Schüler*innen sind immer so fleißig" oder „Du sprichst aber gut Deutsch" können Menschen verletzen. Da sie - ebenso wie negative Zuschreibungen - in ihrer Wirkung ent-individualisieren und damit ent-menschlichend sind. Für wissenschaftliche Auseinandersetzungen sind deswegen Betroffenenperspektiven zentral. Sie betonen, dass es wichtig ist, entsprechende Denkmuster und Äußerungen sowie deren scheinbare Normalität kritisch zu reflektieren. Die Themen „Zugehörigkeit" und „Ab-" bzw. „Ausgrenzung" stehe im Raum. Rassismuskritik und Antidiskriminierung sind unverzichtbar für eine plurale, heterogene Gesellschaft wie sie Deutschland (vgl. Nguyen 2014).

Weiterführende Literatur

Rassismus. Bestimmung / Dossier der Bundeszentrale für Politische Bildung

Rassismus. Die Erfindung von Menschenrassen. Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum Dresden vom 19. Mai 2018 – 06. Januar 2019.


1. Begriffsbestimmungen: Rassismus, Diskriminierung, rassistische Diskriminierung

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Rassismus und Diskriminierung zu definieren. So können Begriffsbestimmungen zur Diskriminierung beispielsweise von einer rechtlichen, einer sozialwissenschaftlichen oder einer psychologischen Perspektive geprägt sein. Damit können sie jeweils nur Teilaspekte eines vielschichtigen Phänomens erfassen. Diskriminierung knapp, klar oder gar abschließend zu definieren ist schwierig, weil sie sich in einem weiten, sich verändernden Spannungsfeld von Benachteiligung, Vorurteilen Privilegien, individueller Sensibilität und gesellschaftlicher Chancen(un)gleichheit bewegt.

In Deutschland tun sich Einige z. T. noch schwer, die Phänomene „Rassismus" und „Diskriminierung" beim Namen zu nennen. Gegenmaßnahmen werden kaum oder erst langsam als wichtige Verbesserung für die individuelle, institutionelle und gesamtgesellschaftliche Wirklichkeit geschätzt. Das hat häufig mit einer reflexhaften Abwehrhaltung zu tun, die eine rationale und nüchterne Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen der Benachteiligung verhindert. Die Abwehr resultiert – insbesondere bei älteren Generationen – oft aus einem In-Beziehung-Setzen der Begriffe mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, was die Thematik stark verkürzt. Zudem wird Diskriminierung häufig auf „absichtliches" Verhalten beschränkt, während die Befassung mit Diskriminierung als unintendiertes Verhalten nicht bedacht wird.

Mit dem Kabinettausschuss und dem Maßnahmenkatalog der Bundesregierung „zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus“ ist die Bedeutung der Rassismusbekämpfung für Frieden und Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland erstmals auf höchster politischer Ebene klar formuliert worden (November 2020).

Die Einschätzung des Phänomens und der Umgang mit ihm wird neu verhandelt. Grund sind zum einen die jüngsten Anfeindungen, Gewaltakte und Terroranschläge aus rassistischer Motivation (u.a. OEZ München, Halle, Hanau, Kassel) ebenso wie zunehmend lauter werdende Stimmen gegen Rassismus in der Gesellschaft.

Vor diesem Hintergrund bietet sich die Chance, noch stärker in die Diskussion einzusteigen und die Grundsätze von Menschlichkeit und das Versprechen der pluralen Demokratie im Kontrast zu Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung klarzustellen, zu besprechen und einzulösen.

Kompetenzbildung durch perspektivenreiche Auseinandersetzung und Diskussion

Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Begriffsbestimmungen und die Diskussion um Benachteiligungserfahrungen, Vorurteile und gesellschaftliche Chancen(un)gleicheit kann als Ausgangspunkt für die Kompetenzbildung genutzt werden. Eine solche perspektivenreiche Auseinandersetzung und die inhaltliche Diskussion über wahrgenommene Diskriminierung sind grundlegend für die Entwicklung eines eigenen Verständnisses und für ein professionelles Verhalten von Institutionen. Das Antidiskriminierungstraining „Den Menschen im Blick” regt durch spezifische Übungen dazu an (Angebote).

Für den Arbeitskontext in staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen hat „Den Menschen im Blick“ die „Arbeitsdefinition Rassismus” und die „Arbeitsdefinition Diskriminierung” erarbeitet (2019, Erstveröffentlichung 2020). Ein breites Team aus Wissenschaftler*innen, Bildungspraktiker*innen sowie Vertreter*innen von kommunalen Verwaltungen, Wohlfahrtsverbänden und NGOs hat diese gemeinsam entwickelt (Fachbeirat). Ziel war es, handlungsorientierte Arbeitsdefinitionen für eine fundierte Arbeitspraxis in staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen vorzulegen (Entstehungsprozess und Nutzen der Arbeitsdefinitionen).

Hier finden Sie einen knappen und wissenschaftsbezogenen Überblick zu den Begriffsbestimmungen unterschiedlicher Fachdisziplinen:


  • Rassismus

    +

    Es gibt heute in Deutschland einen breiten Konsens gegen alte, biologistische Rassismus-Konzepte, die Menschen in Gruppen verorten, die sie nach unterschiedlichen „Rassen" hierarchisieren und denen dann bestimmte, angeborene Fähigkeiten, Physiognomien etc. zugeschrieben werden (alter Rassismus). Lediglich Neonazis und hartgesottene Rassist*innen halten komplett an solchen Konzepten fest. Statt von „Rassen" wird heute eher von unterschiedlichen oder unvereinbaren Ethnien und Kulturen (neuer Rassismus) geredet – gemeint ist dabei jedoch oft das Gleiche. So hat sich nicht die grundlegende Ideologie, sondern vor allem die Wortwahl verändert.

    Rassismus liegt auf der Einstellungsebene.

    ... die sozial und erziehungswissenschaftliche Perspektive betont, dass Rassismus nicht eine bloß persönliche oder politische Einstellung ist, stattdessen handelt es sich um einen gesellschaftlichen Wissensbestand (vgl. Terkessidis 2004), bzw. ein System aus Debatten und Praxen (vgl. Rommelspacher 2009), an das die Denkmuster des*der Einzelne*n anknüpfen. Dabei kann Rassismus bestimmte Verhaltensweisen motivieren, muss es aber nicht (Projekt „Den Menschen im Blick“ / Fachbeirat 2017).

    ... aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive kann hinzugefügt werden, dass „rassistische Muster sich aus historisch eingeschriebenen Ungleichheitszuschreibungen speisen (u. a. Kolonialismus, Nationalsozialismus), die bis heute individuelle Wahrnehmungen und (für Sozialwissenschaftler*innen interessant) gesellschaftliche Regelungen und Routinen prägen und zu spezifischen Machterfahrungen führen" (Projekt „Den Menschen im Blick“ / Fachbeirat 2017).

    ... eine (sozial-)psychologische Perspektive betont, dass „Rassismus den Selbstwert von Menschen prägt. Positiv kategorisierte Mitglieder der Gesellschaft können sich damit als (gegenüber anderen) berechtigt privilegiert (internalisierte Privilegien) fühlen. Negativ kategorisierte Mitglieder der Gesellschaft können die negativen Zuschreibungen übernehmen und sich als minderwertig (internalisierte Unterdrückung) wahrnehmen. Dieses Phänomen wird internalisierter Rassismus genannt" (Projekt „Den Menschen im Blick“ / Fachbeirat 2017).

    Zur „Arbeitsdefinition Rassismus“

  • Diskriminierung

    +

    Diskriminierung ist nicht auf der Einstellungsebene angesiedelt, sondern ein illegitimes Verhalten. Der Diskriminierungsbegriff ist konkret fassbar und handlungsbezogen und damit für die Praxis besonders brauchbar. Zudem hat er eine rechtliche Dimension. Mit ihm geht es – anders als beim Rassismus, der auf der Einstellungsebene liegt – um Ungleichheitsbehandlung, also um Verhalten, das in unserer Gesellschaft illegitim ist und auf das reagiert werden muss.

    ... aus rechtlicher Perspektive ist Diskriminierung eine illegitime Ungleichbehandlung oder Herabwürdigung wegen eines (zugeschriebenen) wesentlichen, nicht oder nur schwer aufgebbaren Identitätsmerkmals der betreffenden Person.

    Diejenigen, die diskriminieren, richten sich gegen die gleichberechtigte Ausübung fundamentaler Freiheiten im öffentlichen Raum. Sie verstoßen gegen internationale Regelungen und nationales Recht.

    Beispiel

    Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist Diskriminierung aufgrund der Merkmale Geschlecht, Lebensalter, rassistische Zuschreibung und ethnische Herkunft, Behinderung, sexuelle Identität sowie Religion und Weltanschauung verboten (AGG §1). Erfasst werden unmittelbare und mittelbare Diskriminierung sowie belästigendes Verhalten (z. B. Beschimpfungen) und sexuelle Belästigung (AGG §3):

    (1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in §1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde (...).

    (2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren (...) Personen wegen eines in §1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise Benachteiligungen können (...).

    (3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in §1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

    ... aus geistes- und sozialwissenschaftlicher Perspektive kann Diskriminierung als „eine Benachteiligung von Menschen in Bezug auf Teilhabe-, Handlungs- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten verstanden werden, die gesellschaftlichen Grundsätzen von Gleichheit und Gerechtigkeit zuwiderläuft. Bei Diskriminierung geht es nicht alleine um individuelles Verhalten, stattdessen hat sie stets einen gesellschaftlichen Kontext: Es handelt sich um die Benachteiligung von Menschen, die als Mitglied einer Gruppe wahrgenommen werden, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen und keinen privilegierten Teil der Bevölkerung darstellen. Bestimmte negative Zuschreibungen ihnen gegenüber (z. B. rassistisch, sexistisch) sollen das eigene diskriminierende und ausgrenzende Verhalten rechtfertigen. Zudem ermöglichen sie Einzelnen und (konstruierten) Gruppen eine ungerechtfertigte Machtposition einzunehmen" (Projekt „Den Menschen im Blick“ / Fachbeirat 2017).

    Zur „Arbeitsdefinition Diskriminierung“

  • Rassistische Diskriminierung

    +

    Rassistische Diskriminierung ist eine spezielle Form der Diskriminierung. Menschen werden als Teil einer negativ imaginierten Gruppe gesehen, sie werden mit abwertenden Zuschreibungen bezüglich Herkunft, Hautfarbe, Sprache oder Religion versehen und in diesem Zusammenhang nachteilig behandelt.

    ... aus rechtlicher Perspektive ist rassistische Diskriminierung eine illegitime Ungleichbehandlung oder Herabwürdigung einer Person entlang abwertender Zuschreibungen bezüglich Herkunft, Hautfarbe, Sprache oder Religion.

    Diejenigen, die rassistisch diskriminieren, richten sich gegen die gleichberechtigte Ausübung fundamentaler Freiheiten im öffentlichen Raum. Sie verstoßen gegen internationale Regelungen und nationales Recht.

    Beispiel

    Mit dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung (ICERD) ist rassistische Diskriminierung „ (...) jede auf (*Zuschreibungen wie, eingefügt durch Autorin) der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird" (Art. 1).

    ... aus sozialwissenschaftlicher Perspektive spricht man von „rassistischer Diskriminierung", „wenn Menschen entlang sozio-politischen Konstruktionen wie Herkunft, Hautfarbe, Sprache oder Religion herabgesetzt oder benachteiligt werden.

    Rassistischen Diskriminierungen liegen komplexe gesellschaftliche Beziehungen und Verhältnisse zugrunde, die zu Benachteiligungen auf unterschiedlichen Ebenen führen. Es gibt individuelle, institutionelle, diskursive und strukturelle Formen der rassistischen Diskriminierung. Sie greifen ineinander und interagieren miteinander" (Projekt „Den Menschen im Blick“ /Fachbeirat 2017).


2. Wer ist von Rassismus und Diskriminierung betroffen – und wer nicht?

Von Rassismus und Diskriminierung betroffen

Menschen, die von Rassismus (abwertenden Einstellungen) betroffen sind, kann auch rassistische Diskriminierung (illegitime, abwertende Handlung) treffen.

In Deutschland werden aktuell zur Gruppe der von Rassismus und rassistischer Diskriminierung Betroffenen aufgrund bestimmter rassistischer Traditionen insbesondere Schwarze Menschen, asiatische Menschen, Sint*izze und Roma*nja, jüdische Menschen, muslimische Menschen und (andere) People of Color gezählt (vgl. Diakonie u. a., CERD-Parallelbericht 2015).

Kommentar

Diejenigen, die von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind, können nicht abschließend durch eine Auflistung bestimmt werden. Denn die Betroffenengruppen von Rassismus und Diskriminierung können sich im Lauf der Zeit ändern, so können neue Betroffenengruppen entstehen. Zudem können tatsächlich Betroffene auch erst in der Gegenwart bzw. Zukunft ins öffentliche Bewusstsein rücken. Daher ist es ratsam, entsprechende Auflistungen „offen" zu halten, etwa indem Adverbien wie „insbesondere" oder „beispielsweise" vorangestellt werden.

Jüngere Einstellungsuntersuchungen zeigen, dass aktuell besonders stark Sint*izze und Roma*nja, Muslim*innen und Schutzsuchende von abwertenden Einstellungen betroffen sind (vgl. Zick et al/FES 2016, Decker et al 2016).

Diskriminierung muss keine rassistische Stoßrichtung haben. Von Diskriminierung sind auch Menschen mit Behinderung, Wohnungslose und queere Menschen betroffen (vgl. Schellenberg/Lang in: DIMR/OSZE 2016, S. 10-40). Mit dem Syndrom der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) haben Forscher einen Zusammenhang zwischen verschiedenen gruppenbezogenen Ungleichheitsvorstellungen belegt: Menschen, die Jüd*innen abwerten, werten mit höherer Wahrscheinlichkeit auch Frauen oder Homosexuelle ab. Die Forscher*innen markieren u. a. auch den klassischen Sexismus und Abwertungen bezogen auf den sozialen Status von Menschen, etwa von Langzeitarbeitslosen, als charakteristische Dimensionen der GMF (Heitmeyer 2002ff., später Zick et al.).

Zu den Erkenntnissen der Studien zur Intersektionalität gehört, dass die Betroffenheit von mehreren Diskriminierungsdimensionen durch ihre Verwobenheit (z. B. Rassismus und gleichzeitig Sexismus) verstärkende Effekte auf die Intensität der Diskriminierung haben (vgl. LESMIGRAS 2015).

Weitere Infos

Wer wird diskriminiert? Übersicht über gängige Fachbegriffe (Dimensionen von Diskriminierung. Wer wird diskriminiert?)

Zu Erfahrungsberichten Betroffener (Stimmen: Wer wird rassistisch gelesen?) und Videoclips zu Menschen und ihren Geschichten (Stimmen: Menschen und Geschichten)

Nicht von Rassismus und Diskriminierung betroffen

Es ist zielführend, noch einige Worte darüber zu verlieren, wer nicht von Rassismus und Diskriminierung betroffen ist. Grund ist, dass es immer wieder Debatten gibt, in denen ein expliziter Diskriminierungsschutz für Christ*innen, Deutsche etc. in Deutschland eingefordert wird. Also, zugespitzt formuliert: Warum geht es nicht um die Diskriminierung von weißen, deutschen, christlichen Männern mittleren Alters?

Sie sind nicht betroffen, weil sie zur Norm gerechnet werden und als Teil der mit unverrückbaren Rechten ausgestatteten „Mehrheitsbevölkerung" in Deutschland wahrgenommen werden. Der gesellschaftliche Kontext lautet hier nicht Benachteiligung, sondern legt Privilegierung nahe. Betrachtet man detailliert verschiedene Formen (rassistischer) Diskriminierung (wie individuelle, institutionelle, diskursive und strukturelle), wird schnell deutlich, dass es höchstens auf der individuellen, zwischenmenschlichen Ebene zu einer Diskriminierung von Mitgliedern der oben genannten Gruppe kommen könnte. Allerdings wird Diskriminierung als „komplexes System sozialer Verhältnisse und Beziehungen" (Scherr et al. 2016) verstanden, was bedeutet, dass sie nicht von diesem Komplex unabhängig wirksam wird und folglich nicht alleine in individuellen Verhaltensweisen sichtbar werden kann. Das heißt: Diskursive, institutionelle, strukturelle und auch individuelle Diskriminierung gegen weiße, deutsche, christliche Männer fanden in Deutschland weder historisch, noch finden sie gegenwärtig statt. Eine Benachteiligung dieser Gruppe wird auch heute weder auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt noch in Schulbüchern, Zeitungsartikeln, Straßennamen etc. sichtbar.

Weiterführende Literatur

Sachverständigen-Bericht von Britta Schellenberg vor der Thüringer Enquete-Kommission „Maßnahmen gegen Rassismus und Diskriminierung“ (2017)


3. Welche Formen rassistischer Diskriminierung gibt es?

Mit der folgenden Übersicht werden verschiedenen Formen rassistischer Diskriminierung aufgelistet, beschrieben und durch Beispiele veranschaulicht. Sie bildet eine Grundlage von „Den Menschen im Blick". Mit ihr steht ein Analyse- und Einordnungsraster zur Verfügung.


  • Internalisiert

    +

    Der Internalisierter Rassismus, der auf der Einstellungsebene angesiedelt ist und selbst keine Verhaltensweise darstellt, bildet häufig die Grundlage der rassistischen Diskriminierung. Internalisierter Rassismus prägt den Selbstwert von Menschen, so auch den positiv kategorisierten Selbstwert Mitgliedern der Gesellschaft: Die Person fühlt sich dann als (gegenüber anderen) berechtigt privilegiert (internalisierte Privilegien). Internalisierter Rassismus kann zudem den Selbstwert von negativ kategorisierten Mitgliedern der Gesellschaft prägen: Die Person übernimmt die negativen Zuschreibungen und empfindet sich als minderwertig (internalisierte Unterdrückung).

    Anmerkung

    Internalisierter Rassismus ist auf der Einstellungsebene angesiedelt und lässt sich somit nicht unter der Auflistung der Formen rassistischer Diskriminierung, die handlungsbezogen sind, fassen. Der internalisierte Rassismus ist an dieser Stelle erwähnenswert, weil er ein zentrales ideologisches Fundament darstellt, das Verhaltensweisen beeinflusst oder erst ermöglicht.

  • Individuell

    +

    Individuelles, zwischenmenschliches Verhalten: Einzelne Personen behandeln einen Menschen oder eine Gruppe aufgrund bestimmter Zuschreibungen ungleich.

    Individuelle Diskriminierung fußt auf einer Ideologie der Ungleichwertigkeit. Ob das diskriminierende Verhalten bewusst wahrgenommen wird oder unbewusst „passiert“, kann von verschiedenen Faktoren abhängen (u.a. Wissen über das Recht, internalisiertem Rassismus, Reflexionsfähigkeit).

    Beispiele

    • beleidigende Äußerungen

    • ausschließendes Verhalten

    • Gewalttätigkeit

  • Institutionell

    +

    Institutionelles Verhalten: Organisationen, Verwaltungen, Unternehmen u.ä. behandeln einen Menschen oder eine Gruppe ungleich.

    Institutionelle Diskriminierung kann sowohl intendiert (gewollt) als auch nicht intendiert (z. B. auf unreflektierten Routinen beruhend) sein. Es kann auch eine bewusste Ungleichbehandlung geben, die nicht auf eigenem, individuellem Rassismus (beim Einzelnen, z. B. der Chefin, des Personals) fußt. So kann es scheinbar pragmatische Gründe geben, z.B. keine kopftuchtragenden Kellnerinnen einzustellen (z. B. Rücksicht auf Kundschaft, Konfliktvermeidung im Team) oder nur Personen mit klassischen deutschen Namen vorzuschlagen, wenn deutsche Vertreter*innen ausgewählt werden sollen (z. B. vermeintliche Zeitersparnis gegenüber Prüfung ob deutscher Staatsbürger*innen). Das Ergebnis bleibt aber gleich: rassistische Diskriminierung.

    Beispiele

    • Gymnasialempfehlungen an Kinder mit Migrationshintergrund

    • NSU-Ermittlungen (insb. Kriminalisierung der Opfer, Umgang mit den Angehörigen, fehlende Überprüfung eines rassistischen Tatmotivs)

    • Racial Profiling

    Literaturempfehlung

    Bericht „Institutioneller Rassismus am Beispiel der NSU-Ermittlungen“ von Mehment Daimagüler, Britta Schellenberg et al. (2015)

  • Diskursiv

    +

    Ungeschriebene kommunikative Muster: Es gibt öffentliche, politische und mediale Sprechweisen, mit denen Menschen oder Gruppen bestimmte Merkmale zugeschrieben werden, die eine Ungleichbehandlung darstellen.

    Ob die*der Sprecher*in ein*e überzeugte*r Rassist*in ist, ist schwer feststellbar. Sie*Er hat die Ideologie internalisiert oder folgt mindestens unbewusst den in der Gesellschaft gängigen rassistischen Diskurs-Regeln & -Routinen.

    Beispiele

    • Nennung von muslimischen Täternamen in der Berichterstattung

    • Herstellung von Zusammenhängen wie Kriminalität und ausländischer Familienbiographie in der Politik

  • Strukturell

    +

    Normativ geregelte („geschriebene“) Ungleichheit: Rechtsgrundlagen einer Gesellschaft bestimmen oder begünstigen Ungleichbehandlung.

    Begünstigung von Ungleichbehandlung: In jüngerer Zeit wird diskutiert, ob fehlende Maßnahmen zur gesellschaftlichen Inklusion bestimmter benachteiligter Gruppen bereits als diskriminierend zu werten sind.

    Beispiele

    • Differenz Menschen- und Bürgerrechte

    • fehlende Angebote / Affirmative Action für benachteiligte Gruppen (z.B. Einstellungsquoten für Personen, die von institutioneller rassistischer Diskriminierung betroffen sind)


Matrix Formen rassistischer Diskriminierung

Hier finden Sie ein PDF-Dokument, in dem die Formen der Diskriminierung in einer Matrix übersichtlich auf einer Seite zusammengestellt sind.


4. Ursachen und Erklärungsansätze

Im Hinblick auf den Antisemitismus und den Holocaust bemerkte bereits Adorno: Die Ursachen und Gründe sind „in den Verfolgern zu suchen, nicht in den Opfern“ (Adorno 1970, S. 90). Heute lenken Forscher*innen vermehrt den Blick auf den psychischen und sozialen Zustand von Rassist*innen und Diskriminierenden sowie auf die Entwicklung und Gegenwart rassistischer und diskursiver Muster und Strukturen. Ziel der Forschungsbemühungen ist es stets, die Phänomene „Rassismus" und „Diskriminierung“ besser zu verstehen.

So hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auch in Deutschland eine robuste Rassismus- und Vorurteilsforschung herausgebildet (vgl. u. a. Benz, Zick, Mecheril, Melter, Gomolla). Vor dem Hintergrund von Bürgerrechtsbewegungen und Empowerment hat sich zudem die Critical Whiteness-Forschung herausgebildet (vgl. u. a. McIntosh, Mills, Sow).

In Reaktion auf die gesellschaftliche und rechtliche Gegenwart entwickelt sich jüngst zudem - und oftmals von der Vorurteils- und Rassismusforschung ausgehend - eine Diskriminierungsforschung (vgl. Scherr et al 2016). Bislang werden hierbei Erkenntnisse verschiedener Fachdisziplinen nebeneinander dargestellt. Analysiert wird eine komplexe Gemengelage, in der die Folgen historischer und gegenwärtiger Diskriminierung mit rassistischen Differenzkonstruktionen und z. T. auch mit ethnischen Selbstzuschreibungen verschränkt sind. Umfangreiche interdisziplinäre Arbeiten stehen noch aus.

Rassismus und Diskriminierung fußen auf Ideologien der Ungleichwertigkeit. Für das Verständnis und die Bearbeitung dieser Phänomene darf der Blick auf die Entwicklung und Wirkung von Vorurteilen nicht fehlen (vgl. Allport).

Um die Ursachen von Rassismus bzw. von Diskriminierung zu erfassen, können Erklärungsansätze unterschiedlicher Forschungsansätze und Fachdisziplinen genutzt werden: Vorurteilsforschung, Rassismusforschung, Critical Whiteness Forschung, Radikalisierungsforschung, Populismusforschung, Forschungen zu religiösen und politischen Ideologien der Ungleichwertigkeit, Rechtsradikalismusforschung, Forschungen zu Aggression und Gewalt, Diversity-Forschung, Partizipationsforschung, etc. Prinzipiell kann unterschieden werden zwischen Ansätzen, die Ursachen auf gesellschaftlicher Ebene analysieren und solchen, die Ursachen auf der individuellen Ebene betrachten.

Je nach Fachdisziplin und Forschungsperspektive werden folgende Faktoren in den Vordergrund gerückt:

  • psychologische und psychosoziale Faktoren: insbesondere Bindungserfahrungen; Gewalterfahrung; kindliche und adoleszente Entwicklungsprobleme;

  • historische Faktoren: z. B. Kolonialismus, rassistische und/oder autoritäre (NS, Faschismus, Stalinismus etc.) Traditionen;

  • Nationalverständnisse auf der Basis von „Blut“ und „Kultur“ statt als Wertegemeinschaft und Gesellschaft von Staatsbürgern;

  • ökonomische Faktoren: etwa Arbeitsplatzverlust, Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt/Immigration; prekäre Beschäftigung; Auswirkungen der Banken- und Wirtschaftskrise;

  • sozialen Faktoren: z. B. Sozialisation in „homogener" Gruppe/Homogenitätsdruck; kein/e Kontakt/Akzeptanz von Verschiedenheit; Status- und Prestigeverlust von Berufsgruppen; Sozialisationserfahrungen wie Erfahrungen des Abgehängtseins bei gleichzeitigen Priviligiertheitsannahmen; Autoritarismus;

  • diskursive Faktoren: implizite und explizite Verdächtigungen gegen bestimmte (konstruierte) Gruppen in öffentlichen Debatten, Medien, politische Debatten etc.;

  • politische Faktoren: z. B. Angebot & Nachfrage an/nach Ideologien der Ungleichwertigkeit, entsprechender politischer Bewegungen und politischer Parteien; Defizite der Regierungsparteien und Defizite in der Umsetzung des Rechts.

  • Zudem können auch institutionelle Faktoren relevant sein: so Regelungen und Routinen in verschiedenen gesellschaftlichen Sphären und bestimmte Muster, die in institutionellen Praktiken sichtbar werden.

Das Projekt „Den Menschen im Blick“ gibt wichtige Impulse für eine professionelle und rassismuskritische Praxis in unserer pluralen Gesellschaft. Besonders spannend finden wir, dass auch institutionelle Routinen in den Blick genommen werden.

Dr. Miriam Heigl, Fachstelle für Demokratie, Stadt München, über das Projekt DEN MENSCHEN IM BLICK